
Die intensiven „Bonbon“-Aromen in modernen Weinen sind keine künstliche Zutat, sondern das Ergebnis eines gezielten biochemischen Stresses der Hefe.
- Niedrige Temperaturen (10-15°C) verlangsamen die Gärung und zwingen die Hefe, flüchtige Frucht-Ester (Thiole) zu produzieren und im Wein zu binden.
- Diese Technik birgt Risiken wie Gärstopps und führt zu einer Debatte über geschmackliche Uniformität und hohe Energiekosten.
Empfehlung: Die bewusste Entscheidung für oder gegen einen kaltvergorenen Wein erfordert das Verständnis, dass hier ein präziser technologischer Eingriff stattgefunden hat.
Sie halten ein Glas kühlen Sauvignon Blanc in der Hand, führen es zur Nase und werden von einer wahren Explosion exotischer Früchte begrüßt: Maracuja, Grapefruit, Stachelbeere, vielleicht sogar ein Hauch von Guave. Dieses intensive, fast parfümierte Aroma, das an tropische Bonbons erinnert, ist heute bei vielen modernen Weißweinen, insbesondere aus Übersee, aber auch zunehmend aus Deutschland, zum Markenzeichen geworden. Man könnte meinen, dem Wein wurden künstliche Aromen zugesetzt, doch die Wahrheit ist weitaus faszinierender und wurzelt tief in der Biochemie der Weinbereitung. Es ist ein Prozess, der bewusst herbeigeführt wird und den schmalen Grat zwischen genialer Kellertechnik und technologischer Manipulation beschreitet.
Die Antwort liegt in einem einzigen Begriff: der Kaltgärung. Viele Ratgeber erwähnen sie als Methode, um Weine „fruchtiger“ zu machen, aber das kratzt nur an der Oberfläche. Um wirklich zu verstehen, warum Ihr Wein nach Maracuja riecht, müssen wir die Perspektive wechseln. Wir müssen aufhören, an einen sanften, natürlichen Prozess zu denken und stattdessen die Gärung als einen Überlebenskampf der Hefe betrachten. Der Önologe, der Winzer, ist dabei der Regisseur, der die Bedingungen dieses Kampfes diktiert. Er setzt die Hefe gezielt unter metabolischen Stress, um ihr ganz bestimmte aromatische Geheimnisse zu entlocken.
Dieser Artikel führt Sie in die Welt der temperaturkontrollierten Gärung. Wir werden aufdecken, was genau mit der Hefe bei 12 Grad Celsius passiert, wie diese Kälte die wertvollen Aromen im Wein gefangen hält und welche Risiken damit verbunden sind. Wir beleuchten auch die kritischen Stimmen, die eine geschmackliche Uniformität befürchten, und werfen einen Blick auf die ganz pragmatische Frage der Energiekosten in Zeiten des Klimawandels. Am Ende werden Sie nicht nur verstehen, was in Ihrem Glas passiert, sondern auch eine fundierte Meinung darüber haben, ob diese intensive Fruchtigkeit ein Segen oder ein Fluch für die Weinwelt ist.
Um diesen komplexen Prozess vollständig zu durchdringen, haben wir die wichtigsten Aspekte für Sie aufgeschlüsselt. Der folgende Sommaire gibt Ihnen einen Überblick über die Reise in das Herz der modernen Weißweinbereitung.
Sommaire: Das biochemische Geheimnis hinter den Fruchtaromen im Wein
- Was passiert mit der Hefe bei 12 Grad Celsius und warum arbeitet sie langsamer?
- Wie niedrige Temperaturen verhindern, dass Maracuja-Noten mit dem CO2 entweichen
- Das Problem, wenn es der Hefe zu kalt wird und der Zucker übrig bleibt
- Kritik an der Kaltgärung: Schmecken bald alle Weine gleich uniform?
- Wie viel Strom kostet die Kaltgärung wirklich und ist das noch zeitgemäß?
- Wie gekühlte Edelstahltanks die fruchtigen Ester im Riesling retten
- Sauvignon Blanc in der Pfalz: Kann er mit Neuseeland mithalten?
- Warum schmecken Weine aus dem Edelstahltank frischer und fruchtiger?
Was passiert mit der Hefe bei 12 Grad Celsius und warum arbeitet sie langsamer?
Um die Kaltgärung zu verstehen, müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass die Hefe einfach nur Zucker in Alkohol umwandelt. In Wirklichkeit ist die Hefe ein lebender Organismus mit einem primären Ziel: überleben und sich vermehren. Bei wohligen 20-25°C tut sie dies mit großer Effizienz. Senkt der Winzer die Temperatur jedoch auf kühle 10-15°C, verändert sich das Verhalten der Hefe fundamental. Sie schaltet von einem schnellen Vermehrungsmodus in einen langsameren Überlebensmodus um. Dieser metabolische Stress ist der Schlüssel zu den intensiven Aromen.
Bei Kälte verlangsamen sich alle enzymatischen Prozesse. Die Hefe arbeitet mühsamer und braucht deutlich länger, um den Zucker im Most zu verarbeiten. Anstatt sich rasant zu teilen, konzentriert sie ihre Energie auf die Aufrechterhaltung ihrer Zellfunktionen. Wie Experten der renommierten Forschungsanstalt Geisenheim betonen, führt dieser veränderte Stoffwechselweg zu einer anderen Priorisierung bei der Produktion von Nebenprodukten. Es ist, als würde ein Sprinter gezwungen, einen Marathon zu laufen – seine gesamte Physiologie passt sich an die neue, langsame Belastung an.
Bei Kälte liegt der Fokus auf ‚Überleben‘ statt auf schneller Vermehrung. Dies führt zu einem anderen enzymatischen Weg, der die Bildung von fruchtigen Estern begünstigt, aber die Gärung verlängert.
– Forschungsanstalt Geisenheim, Weinkenner Magazin
Ein praktisches Beispiel aus der Kellerwirtschaft illustriert dies: Eine spezielle Kaltgärhefe wie die VIN 13 kann bei 10°C arbeiten. Während die Gärung anfangs langsam beginnt, kann sie sich nach einigen Tagen anpassen. Eine Studie zeigt, wie eine solche Hefe innerhalb von 11 Tagen Gärzeit einen Restzuckergehalt von nur 2,4 g/l erreichte. Diese langsame, kontrollierte Umwandlung ist genau das, was der Önologe anstrebt, denn sie schafft die idealen Bedingungen für die Entstehung und den Erhalt hochflüchtiger Aromastoffe.
Wie niedrige Temperaturen verhindern, dass Maracuja-Noten mit dem CO2 entweichen
Während der Gärung entsteht nicht nur Alkohol, sondern auch eine große Menge an Kohlendioxid (CO2). Dieses Gas sprudelt aus dem Most und reißt dabei unzählige Moleküle mit sich. Bei einer warmen, stürmischen Gärung ist dieser Effekt besonders stark. Viele der feinsten und flüchtigsten Aromastoffe, die sogenannten Ester und Thiole, würden dabei einfach „verduften“ und unwiederbringlich verloren gehen. Hier kommt der entscheidende physikalische Vorteil der Kälte ins Spiel: Sie reduziert die aromatische Flüchtigkeit.
Die intensiven Noten von Maracuja, Grapefruit und Cassis in einem Sauvignon Blanc sind primär auf eine Gruppe von Schwefelverbindungen zurückzuführen, die als Thiole bekannt sind. Insbesondere die für Passionsfrucht- und Grapefruitaromen verantwortlichen Thiole, wie 3-Mercaptohexanol (3MH) und sein Acetat (3MHA), sind extrem flüchtig. Bei einer Gärung bei 12°C ist die CO2-Produktion jedoch deutlich langsamer und sanfter. Die Gasbläschen steigen gemächlicher auf, und die niedrige Temperatur sorgt dafür, dass die Thiole besser im Wein gelöst bleiben, anstatt mit dem Gasstrom zu entweichen. Der Wein wird quasi zu einer Schatzkammer für diese empfindlichen Aromen.

Man kann es sich wie das Kochen einer Suppe vorstellen: Lässt man sie bei hoher Hitze wild kochen, füllt die ganze Küche sich mit Duft, aber die Suppe selbst verliert an Geschmackstiefe. Lässt man sie hingegen sanft bei niedriger Temperatur simmern, bleiben die Aromen dort, wo sie hingehören – in der Flüssigkeit. Die Kaltgärung ist das önologische Äquivalent zu diesem schonenden Garprozess, der die primären Fruchtaromen der Traube maximal konserviert.
Das Problem, wenn es der Hefe zu kalt wird und der Zucker übrig bleibt
Die Kaltgärung ist eine Gratwanderung. Während sie das Potenzial für aromatische Brillanz bietet, birgt sie auch erhebliche Risiken. Das größte Problem ist die sogenannte Gärstockung. Wird es der Hefe zu kalt, stellt sie ihre Arbeit einfach ein, bevor der gesamte Zucker in Alkohol umgewandelt wurde. Das Ergebnis ist ein unfertiger, süßer und mikrobiologisch instabiler Wein – der Albtraum eines jeden Winzers. Es gibt einen Temperaturbereich, den viele Praktiker als „Niemandsland“ bezeichnen, oft um 12-14°C, in dem viele Standardhefen kapitulieren.
Spezielle Kaltgärhefen sind zwar an niedrige Temperaturen angepasst, aber auch sie haben ihre Grenzen. Startet die Gärung bei extrem tiefen Temperaturen, kann es sein, dass die Hefepopulation nie die nötige Dichte und Vitalität erreicht, um den Prozess bis zum Ende durchzustehen. Ein Fallbeispiel zeigt, dass eine Hefe wie die Oenoferm Freddo bei 10°C große Probleme hatte, die Gärung überhaupt zu starten. Erst nach einer Erhöhung der Hefemenge und einer Wartezeit von 5 Tagen begann der Zuckerabbau. Sie brauchte schließlich 14 Tage, um den Wein trocken zu vergären. Dies zeigt, wie heikel der Prozess sein kann und wie viel Erfahrung und Kontrolle er erfordert.
Um das Risiko einer Gärstockung zu minimieren, greifen Önologen zu gezielten Maßnahmen. Eine der wichtigsten ist die Anpassung der Hefemenge, wie Experten raten:
Bei kaltem Gärstart ab 8°C muss die Hefemenge auf mindestens 20 bis 25 g/hl erhöht werden.
– ReKru GmbH, Kaltgärhefen Blog
Eine weitere Strategie ist eine sorgfältige Nährstoffversorgung der Hefe, um ihre Vitalität während des langen, anstrengenden Prozesses zu sichern. Letztendlich bleibt die Kaltgärung eine Technik für erfahrene Winzer, die ihre Hefen und ihre Kellertechnologie genau kennen. Ein kleiner Fehler in der Temperatursteuerung oder im Hefemanagement kann einen ganzen Tank Wein ruinieren.
Kritik an der Kaltgärung: Schmecken bald alle Weine gleich uniform?
Trotz ihrer Fähigkeit, brillante und reintönige Fruchtaromen zu erzeugen, steht die Kaltgärung auch in der Kritik. Der Hauptvorwurf lautet, sie führe zu einer technologischen Uniformität. Kritiker argumentieren, dass Weine aus aller Welt, die mit den gleichen Kaltgärhefen und der gleichen Technologie hergestellt werden, ihre regionale Identität und ihren Terroir-Charakter verlieren. Der Wein schmeckt dann nicht mehr nach seiner Herkunft – dem Boden, dem Klima, der Lage –, sondern primär nach der verwendeten Hefe und der gewählten Gärtemperatur. Diese Weine werden oft als technisch perfekt, aber seelenlos beschrieben.
Diese Kritik wird besonders deutlich im Kontext von Rebsorten, die stark von der Kaltgärung geprägt sind, wie dem Sauvignon Blanc. Ein kaltvergorener Sauvignon Blanc aus Südafrika, Chile oder Deutschland kann verblüffend ähnlich schmecken, dominiert von der gleichen Maracuja-Note. Puristen befürchten, dass dadurch die faszinierende Vielfalt der Weinwelt verloren geht. Im Fachjargon hat sich dafür ein abfälliger Begriff etabliert:
Manche Weinsnobs nennen sie verächtlich ‚Tankweine‘, weil sie geschmacklich zu eindimensional und bisweilen schwer einer Rebsorte oder einer Region zuzuordnen sind.
– Weinkenner Magazin, Die Kaltvergärung
Die Debatte dreht sich um die Frage, was einen großen Wein ausmacht: die primäre Frucht oder die komplexe, vielschichtige Aromatik, die durch traditionellere Methoden entsteht? Der folgende Vergleich zeigt die fundamentalen Unterschiede zwischen den beiden Ansätzen auf, wie sie in einer Analyse des Weinkenner Magazins dargestellt werden.
| Methode | Temperatur | Aromaprofil | Haltbarkeit |
|---|---|---|---|
| Kaltgärung | 10-15°C | Fruchtig, reintönig | Schnellere Alterung |
| Traditionelle Gärung | 18-25°C | Komplex, terroirbetont | Längere Reifefähigkeit |
Die Tabelle verdeutlicht, dass die Kaltgärung auf Kosten der Komplexität und Langlebigkeit gehen kann. Während sie junge Weine mit explosiver Frucht liefert, fehlt ihnen oft die Struktur und Tiefe für eine lange Reifung. Die Entscheidung für oder gegen die Kaltgärung ist somit auch eine philosophische Frage über den gewünschten Weinstil.
Wie viel Strom kostet die Kaltgärung wirklich und ist das noch zeitgemäß?
Die Fähigkeit, einen gärenden Most auf 12°C zu kühlen, während der Prozess selbst Wärme erzeugt, ist ein energieintensives Unterfangen. In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit und Klimaschutz immer wichtiger werden, rückt die Energiebilanz der Kaltgärung zunehmend in den Fokus. Die Kühlung der großen Edelstahltanks über mehrere Wochen hinweg erfordert einen erheblichen Einsatz von elektrischer Energie, was sich direkt in den Produktionskosten und der CO2-Bilanz eines Weinguts niederschlägt.
Die Kosten sind nicht unerheblich. Die Kühlaggregate, die das Kühlmittel auf die benötigte Temperatur bringen, laufen oft Tag und Nacht. Gerade in warmen Weinbauregionen oder bei hohen Außentemperaturen während der Lesezeit kann der Energiebedarf enorm sein. Um dies in einen Kontext zu setzen: Im ersten Halbjahr 2024 zahlten Industriekunden in Deutschland durchschnittlich 20,16 Cent/kWh. Multipliziert mit dem Dauerbetrieb leistungsstarker Kühlanlagen für tausende Liter Wein, summieren sich die Kosten schnell zu einem signifikanten Posten in der Kalkulation des Winzers.
Diese ökonomische und ökologische Realität zwingt viele Weingüter zum Umdenken. Ist der aromatische Gewinn durch extreme Kühlung den hohen Energieeinsatz wert? Viele Betriebe suchen nach Wegen, die Kaltgärung energieeffizienter zu gestalten. Moderne Kellertechnik, bessere Isolierung und der Einsatz erneuerbarer Energien sind hierbei Schlüsselfaktoren. Die Frage der Nachhaltigkeit könnte in Zukunft dazu führen, dass extrem kalt vergorene Weine zu einem Luxusgut werden oder dass Winzer bewusst moderatere Gärtemperaturen wählen, die einen Kompromiss zwischen Fruchtintensität und Energieverbrauch darstellen.
Ihr Plan zur Überprüfung der Energieeffizienz in der Weinproduktion
- Energiequellen analysieren: Prüfen Sie die Möglichkeit zur Installation von Photovoltaikanlagen auf Kellerdächern oder die Nutzung von Geothermie zur Kühlung.
- Tanktechnologie inventarisieren: Bewerten Sie die Effizienz Ihrer Tanks. Sind sie doppelwandig? Sind die Kühlschlangen oder -platten für eine optimale Wärmeübertragung ausgelegt?
- Temperaturprotokolle auditieren: Analysieren Sie die Gärkurven. Ist eine extreme Kühlung auf 10-12°C wirklich nötig oder kann durch eine Optimierung im Bereich von 13-19°C bereits ein exzellentes Ergebnis bei geringerem Energieaufwand erzielt werden?
- Kühlphasen optimieren: Stellen Sie sicher, dass Kaltwassersätze gezielt nur während der kritischen, stark exothermen Gärphase mit voller Leistung laufen und ansonsten in einen Energiesparmodus wechseln.
- Isolierung bewerten: Überprüfen Sie die Isolierung des Weinkellers und der Rohrleitungen, um Kälteverluste zu minimieren und die Effizienz der Kühlung zu maximieren.
Wie gekühlte Edelstahltanks die fruchtigen Ester im Riesling retten
Die technologische Grundlage für die moderne Kaltgärung ist untrennbar mit der Einführung des Edelstahltanks in der Kellerwirtschaft verbunden. Vor seiner Ära fand die Gärung meist in großen Holzfässern oder Betontanks statt, die eine präzise Temperaturkontrolle praktisch unmöglich machten. Der Most erhitzte sich durch die Gärungswärme oft stark, was zu einem Verlust der feinen Fruchtaromen führte. Der Edelstahltank revolutionierte dies, indem er eine effektive und schnelle Kühlung ermöglichte.

Moderne Edelstahltanks sind oft mit doppelten Wänden (Doppelmantel) oder internen Kühlplatten ausgestattet. Durch diese Systeme zirkuliert ein Kühlmittel, meist ein Wasser-Glykol-Gemisch. Ein Fallbeispiel aus der Praxis zeigt, dass die Gärtemperatur kontinuierlich über Fühler im Tank gemessen und auf eine Solltemperatur, beispielsweise zwischen +13 und +19 °C, eingeregelt wird. Kaltwassersätze stellen dafür gekühltes Wasser von etwa +6 °C bereit, das die bei der Gärung entstehende Wärme effektiv abführt. Diese präzise Kontrolle ist besonders für aromatische Rebsorten wie den Riesling ein Segen.
Gerade der deutsche Riesling, bekannt für seine feinen Apfel-, Pfirsich- und Zitrusnoten, profitiert enorm von einer kühlen Gärführung. Die empfindlichen Ester, die für diese Aromen verantwortlich sind, bleiben durch die gekühlte Gärung im Edelstahltank erhalten. Der Wein präsentiert sich dadurch in seiner Jugend frischer, klarer und fruchtbetonter. Der Edelstahltank schützt den Wein zudem vor Oxidation, da er hermetisch abgeschlossen ist – ein weiterer Faktor, der die Primärfrucht schont. Ohne den Edelstahltank wäre die aromatische Stilistik vieler moderner deutscher Rieslingweine so nicht denkbar.
Sauvignon Blanc in der Pfalz: Kann er mit Neuseeland mithalten?
Der Sauvignon Blanc aus Marlborough, Neuseeland, gilt als Archetyp des kaltvergorenen, thiol-getriebenen Weinstils. Doch auch in Deutschland, insbesondere in Anbaugebieten wie der Pfalz, hat die Rebsorte eine beeindruckende Entwicklung durchgemacht. Winzer haben gelernt, durch präzise Laubarbeit im Weinberg und gezielte Kaltgärung im Keller ebenfalls diese intensive Exotik-Aromatik zu erzeugen. Doch können deutsche Sauvignon Blancs wirklich mit ihren neuseeländischen Vorbildern mithalten?
Wissenschaftlich betrachtet haben beide das gleiche Potenzial. Studien bestätigen, dass Sauvignon Blanc generell höhere Thiolkonzentrationen als andere Rebsorten wie Chardonnay aufweist, was die genetische Veranlagung für diese Aromen erklärt. Der Unterschied liegt oft im Detail – im spezifischen Terroir und in der Ausprägung der Thiol-Typen.
Während in Neuseeland oft die extremen Maracuja- und Stachelbeernoten (bedingt durch Thiole wie 4MMP) im Vordergrund stehen, zeigen Sauvignon Blancs aus der Pfalz häufig eine etwas andere, oft als „europäischer“ empfundene Aromatik. Hier mischen sich die exotischen Früchte oft mit kräuterigen Noten, grüner Paprika und einer markanten Mineralität, die von den Kalkstein- oder Vulkanböden der Region stammt. Die Säurestruktur ist in den kühleren deutschen Lagen zudem oft präsenter und verleiht den Weinen mehr Frische und Langlebigkeit.
Der direkte Vergleich zeigt, dass es weniger um ein „besser“ oder „schlechter“ als vielmehr um unterschiedliche Stilistiken geht, die durch Klima, Boden und Kellertechnik geprägt werden:
| Merkmal | Pfalz/Deutschland | Neuseeland |
|---|---|---|
| Dominante Aromen | Zitrus, grüne Paprika, Kräuter | Maracuja, Stachelbeere |
| Böden | Kalkstein, Vulkanböden | Schwemmlandböden |
| Säurestruktur | Höhere Säure | Moderatere Säure |
| Thiole | 3MH, A-3MH | 4MMP dominant |
Letztendlich ist die Antwort auf die Frage eine des persönlichen Geschmacks. Der Pfälzer Sauvignon Blanc muss nicht mit Neuseeland mithalten, sondern kann selbstbewusst seine eigene Identität präsentieren: eine faszinierende Verbindung aus exotischer Frucht und deutscher Terroir-Prägung.
Das Wichtigste in Kürze
- Die intensive Fruchtaromatik (Maracuja, Grapefruit) moderner Weißweine ist das Ergebnis einer Kaltgärung, bei der die Hefe unter Stress gesetzt wird.
- Niedrige Temperaturen (10-15°C) verlangsamen die Gärung, fördern die Bildung flüchtiger Thiole und verhindern deren Entweichen mit dem CO2.
- Diese Technik birgt Risiken wie Gärstopps und steht wegen der Tendenz zur geschmacklichen Uniformität und des hohen Energieverbrauchs in der Kritik.
Warum schmecken Weine aus dem Edelstahltank frischer und fruchtiger?
Die Wahrnehmung von Frische und Fruchtigkeit bei Weinen aus dem Edelstahltank ist das Ergebnis einer Kombination aus drei entscheidenden Faktoren: Temperaturkontrolle, Sauerstoffausschluss und Neutralität des Materials. Diese Elemente wirken zusammen, um die primären Aromen der Traube so unverfälscht wie möglich in die Flasche zu bringen. Der Edelstahltank agiert dabei wie ein schützender Kokon für den jungen Wein.
Der erste und wichtigste Aspekt ist, wie bereits diskutiert, die präzise Temperaturkontrolle. Edelstahl ist ein hervorragender Wärmeleiter, was eine schnelle und effiziente Kühlung während der Gärung ermöglicht. Indem die Temperatur niedrig gehalten wird, werden die flüchtigen Frucht-Ester im Wein gebunden und die Gärung verläuft schonend. Dies bewahrt die frischen, knackigen Aromen, die bei einer wärmeren Gärung verloren gehen würden.
Zweitens spielt der Sauerstoffausschluss eine entscheidende Rolle. Edelstahltanks sind hermetisch abriegelbar. Dies schützt den Wein vor Oxidation, dem größten Feind frischer Fruchtaromen. Sauerstoffkontakt würde die feinen Ester schnell zerstören und zu müden, faden Noten führen. Im sauerstofffreien Umfeld des Edelstahltanks bleiben die Aromen hingegen lebendig und brillant. Im Gegensatz zum Holzfass, das immer eine minimale Sauerstoffinteraktion (Mikrooxidation) zulässt, konserviert Edelstahl die Primärfrucht in ihrer reinsten Form.
Der dritte Faktor ist die absolute Neutralität des Materials. Edelstahl gibt keinerlei Eigengeschmack an den Wein ab. Anders als ein Holzfass, das Noten von Vanille, Toast oder Gewürzen beisteuert, lenkt der Edelstahltank die gesamte sensorische Aufmerksamkeit auf die Aromen, die aus der Traube selbst stammen. Das Ergebnis ist ein Wein, der „pur“ und unverfälscht nach seiner Rebsorte und Herkunft schmeckt – zumindest solange die Gärung nicht so stark manipuliert wird, dass die Hefearomen das Terroir überdecken.
Am Ende Ihrer Reise durch die Welt der Kaltgärung halten Sie nicht nur das Wissen in Händen, sondern auch ein Werkzeug. Achten Sie bei Ihrer nächsten Weinprobe bewusst auf diese intensiven, exotischen Noten. Fragen Sie sich: Schmecke ich die präzise Arbeit im Keller? Erkenne ich eine globale Stilistik oder spüre ich noch die regionale Herkunft? Ihre neu gewonnene Perspektive wird jedes Glas Wein zu einer noch spannenderen Entdeckung machen.
Häufige Fragen zur Kaltgärung und Weinbereitung
Warum ist Sauerstoffausschluss wichtig?
Der hermetisch abgeriegelte Edelstahltank schützt die hochflüchtigen, leicht oxidierbaren Fruchtaromen vor Zerstörung. Sauerstoff würde diese empfindlichen Verbindungen angreifen und zu einem schnellen Verlust von Frische und Lebendigkeit führen, was müde und fade Geschmacksnoten zur Folge hätte.
Welche Temperaturvorteile bietet Edelstahl?
Edelstahl leitet Temperatur extrem gut. Diese Eigenschaft ermöglicht es dem Winzer, die bei der Gärung entstehende Wärme durch externe Kühlsysteme sehr schnell und präzise abzuführen. So kann die Gärtemperatur exakt auf dem gewünschten niedrigen Niveau gehalten werden, was für den Erhalt der Fruchtaromen entscheidend ist.
Wie beeinflusst die Technik die Wahrnehmung?
Die Abwesenheit von Holznoten, wie sie bei einem Ausbau im Barrique entstehen würden (z.B. Vanille, Toast, Gewürze), lenkt die gesamte sensorische Aufmerksamkeit des Verkosters auf die primären Fruchtaromen der Traube. Der Wein wirkt dadurch „reiner“, direkter und fokussierter auf die Frucht.