Veröffentlicht am Mai 15, 2024

Die perfekte Riesling-Paarung zu Curry hängt weniger von der Bezeichnung „trocken“ oder „feinherb“ ab, als vom Verständnis der strukturellen Balance zwischen Säure, Restzucker und Alkohol des Weins.

  • Die knackige Säure des Rieslings durchschneidet das Fett von Kokosmilch und sorgt für Frische.
  • Ein moderater Restzucker fungiert als Puffer, der die Schärfe der Gewürze abmildert und die Fruchtaromen hervorhebt.

Empfehlung: Wählen Sie für ein mittelscharfes, cremiges Curry einen Riesling Kabinett oder eine feinherbe Spätlese mit spürbarer Säure und einem Alkoholgehalt zwischen 8 und 11 %.

Das Curry duftet verführerisch in der Küche, die Aromen von Zitronengras, Chili und Kokosmilch erfüllen den Raum. Doch dann die entscheidende Frage, vor der jeder Hobbykoch schon einmal stand: Welcher Wein passt dazu? Die schnelle Antwort lautet oft: „Nimm einen Riesling, am besten feinherb.“ Dieser Ratschlag ist zwar nicht falsch, aber er kratzt nur an der Oberfläche eines faszinierenden Zusammenspiels. Viele greifen blind zu einer Flasche, ohne die wirklichen Gründe für die legendäre Harmonie zwischen Riesling und der asiatischen Küche zu verstehen.

Man hört, dass die Süße die Schärfe ausgleicht, aber was ist mit dem Fett der Kokosmilch? Welche Rolle spielt die Säure wirklich? Und warum kann ein vermeintlich unpassender trockener Riesling manchmal besser funktionieren als ein lieblicher? Die Welt des Rieslings ist weit mehr als eine simple Skala von trocken bis süß. Sie ist ein komplexes Ökosystem aus Säurestruktur, mineralischer Prägung des Terroirs und der Kunst des Winzers, den Restzucker perfekt zu balancieren. Nur wer diese Faktoren kennt, kann die Magie wirklich für sich nutzen.

Dieser Artikel bricht mit der oberflächlichen Regel „süß gegen scharf“. Stattdessen tauchen wir tief in die Mechanik der Aromen ein. Wir entschlüsseln, warum die Strukturkomponenten des Rieslings – seine Säure, sein Zucker, sein Alkohol und sogar sein kontroverser Petrolton – die geheimen Schlüssel für eine perfekte Weinbegleitung sind. Sie werden lernen, nicht mehr nur nach Etiketten zu wählen, sondern wie ein Sommelier die Architektur des Weins zu analysieren, um für jedes Curry den idealen Partner zu finden. So wird die Weinwahl vom Ratespiel zur bewussten, genussvollen Entscheidung.

Um Ihnen diese Expertise zu vermitteln, beleuchten wir die entscheidenden Facetten des Rieslings. Von der fundamentalen Rolle der Säure bis hin zur Preisfrage eines Weltklasse-Weins – dieser Leitfaden macht Sie zum Architekten Ihres perfekten Wein-Erlebnisses.

Warum ist Riesling ohne spürbare Säure oft flach und langweilig?

Die Säure ist das Rückgrat des Rieslings. Ohne sie würde der Wein in sich zusammenfallen, besonders wenn er über Restzucker verfügt. Sie ist der entscheidende Faktor, der für Frische, Langlebigkeit und vor allem für seine Genialität als Speisenbegleiter verantwortlich ist. Ein Riesling ohne präsente Säure wirkt wie ein Gericht ohne Salz: die Aromen bleiben diffus und der Gesamteindruck ist müde und eindimensional. Gerade im Zusammenspiel mit Speisen wie einem cremigen Curry zeigt die Säure ihre wahre Superkraft: die Säure-Fett-Balance. Sie durchschneidet mühelos den Reichtum und das Fett von Zutaten wie Kokosmilch, reinigt den Gaumen und hinterlässt ein Gefühl von Leichtigkeit und Frische. Dieser „Reset-Effekt“ macht jeden Bissen und jeden Schluck wieder zu einem neuen Erlebnis.

Qualitativ hochwertige deutsche Rieslinge zeichnen sich durch ein markantes Säuregerüst aus. So zeigen aktuelle Analysen prämierter Weine oft Werte um 7,4 g/l Gesamtsäure oder mehr, was für die charakteristische Spannung und Lebendigkeit sorgt. Diese Säure ist kein aggressiver, beißender Faktor, sondern fein verwoben und sorgt für eine intensive Mundwässerung, die den Wein saftig und animierend wirken lässt. Ein flacher, säurearmer Wein hingegen würde von der Komplexität eines Currys schlichtweg erdrückt werden. Er könnte weder gegen das Fett noch gegen die intensive Würze bestehen und würde am Gaumen breit und uninteressant erscheinen.

Die Wahrnehmung von Säure ist jedoch auch von der Temperatur und dem Herkunftsgebiet abhängig. Ein kühler servierter Mosel-Riesling mit seiner typischen Schiefermineralik wird seine Säure anders präsentieren als ein kräftigerer Riesling aus der wärmeren Pfalz. Die Kunst liegt darin, einen Wein zu finden, dessen Säurestruktur kräftig genug ist, um dem Gericht standzuhalten, aber gleichzeitig so harmonisch integriert ist, dass sie die Fruchtaromen des Weins nicht überdeckt, sondern vielmehr trägt und hervorhebt.

Petrolton im Riesling: Qualitätsmerkmal oder Weinfehler?

Kaum ein Aroma spaltet die Weinwelt so sehr wie der „Petrolton“ im gereiften Riesling. Für die einen ist er ein unverkennbares Zeichen von Komplexität und Reife, für die anderen ein störender Fehler. Chemisch verantwortlich für diese Note ist ein Molekül namens Trimethyl-Dihydronaphthalin, kurz TDN. Es entsteht während der Flaschenreife aus Vorstufen, den Carotinoiden, die sich in der Traubenschale durch intensive Sonneneinstrahlung und Wasserstress anreichern. Damit ist klar: TDN ist ein natürlicher Bestandteil des Rieslings und kein Resultat eines Kellerfehlers.

Die Wahrnehmung und Bewertung des Petroltons ist jedoch stark kulturell geprägt. Während in Australien, wo Rieslinge aus dem Clare oder Eden Valley oft sehr hohe TDN-Werte aufweisen, die Note als klares Qualitätsmerkmal gilt, wird sie in Deutschland bei jungen Weinen oft kritisch gesehen. Hier steht die Frucht im Vordergrund. Erst mit zunehmender Reife, wenn sich die primären Fruchtaromen zu komplexeren Tertiäraromen wandeln, wird ein feiner Petrolton von Kennern als Teil des vielschichtigen Bouquets geschätzt. Die Wissenschaft hat dieses Phänomen sogar auf molekularer Ebene untersucht. In einer Studie von 2024 wurde der menschliche Geruchsrezeptor OR8H1 als spezifisch für TDN identifiziert, was erklärt, warum manche Menschen ihn stärker wahrnehmen als andere. Die Forschungsergebnisse zeigen auch die enormen Konzentrationsunterschiede: Während europäische Rieslinge meist Werte zwischen 1-50 μg/L aufweisen, können australische Pendants bis zu 250 μg/L erreichen.

Für die Paarung mit asiatischem Curry ist ein dezenter Petrolton oft eine Bereicherung. Er fügt eine würzige, fast rauchige Komponente hinzu, die wunderbar mit den Röstaromen von Gewürzen harmonieren kann. Wichtig ist die Balance: Der Petrolton sollte das Bouquet ergänzen, nicht dominieren. Ein junger Wein, der bereits stark nach Petrol riecht, deutet oft auf Stressfaktoren im Weinberg (z. B. extreme Hitze) hin und kann unausgewogen wirken. Ein gereifter Riesling mit einer feinen, integrierten Petrolnote hingegen zeugt von edler Entwicklung und kann einem Curry eine unerwartete, faszinierende Dimension verleihen.

Leichter Kabinett vs. Großes Gewächs: Welcher Riesling passt zu Mittagessen?

Nicht jeder Anlass verlangt nach dem gleichen Wein. Die Wahl zwischen einem leichten Riesling Kabinett und einem kraftvollen Großen Gewächs (GG) ist eine strategische Entscheidung, die vom Kontext – insbesondere der Tageszeit und der Schwere des Essens – abhängt. Ein Geschäftsessen am Mittag stellt andere Anforderungen an den Wein als ein opulentes Abenddinner. Hier spielt der Alkoholgehalt eine entscheidende Rolle für das Wohlbefinden und die Konzentrationsfähigkeit im Anschluss.

Ein Riesling Kabinett ist der ideale Begleiter für ein leichtes Mittagessen. Mit seinem typischerweise niedrigen Alkoholgehalt zwischen 7,5 und 10 % vol. bleibt er belebend und erfrischend, ohne zu ermüden. Seine feine Restsüße und die hohe Säure machen ihn zu einem perfekten Partner für Salate, leichte Fischgerichte oder eben auch ein nicht zu scharfes Mittags-Curry. Er beschwert nicht und hinterlässt einen klaren Kopf für den Nachmittag.

Ein Großes Gewächs hingegen ist ein Statement-Wein. Als trockener Spitzenwein aus den besten Lagen (den „Großen Lagen“ des VDP) bringt er eine enorme Dichte, Komplexität und einen deutlich höheren Alkoholgehalt von 12 bis 13,5 % vol. mit. Ein solcher Wein verlangt nach einem ebenbürtigen Partner auf dem Teller, wie einem gebratenen Zanderfilet auf der Haut oder einem Kalbsrücken. Zum Mittagessen kann er schnell zu dominant und alkoholisch wirken. Seine wahre Größe entfaltet ein GG bei einem wichtigen Abendessen, bei dem Zeit und Muße vorhanden sind, seine vielschichtigen Aromen zu erkunden. Die folgende Tabelle verdeutlicht die Unterschiede im Kontext eines Geschäftsessens:

Kabinett versus Großes Gewächs im Geschäftsessen-Kontext
Kriterium Kabinett Großes Gewächs
Alkoholgehalt 7,5-10% vol 12-13,5% vol
Preis pro Flasche 10-25€ 50-200€
Idealer Anlass Leichtes Lunch, Kantine Wichtige Geschäftspartner
Speiseempfehlung Salate, leichte Fischgerichte Zanderfilet, gehobene Küche
Trinkfenster Sofort bis 5 Jahre 3-20 Jahre

Wie lange können Sie einen Basis-Riesling lagern, bevor er kippt?

Eine der herausragendsten Eigenschaften des Rieslings ist seine außergewöhnliche Langlebigkeit, die er seiner hohen Säure verdankt. Doch nicht jeder Riesling ist für eine jahrzehntelange Reifung im Keller bestimmt. Insbesondere bei Basis-Rieslingen, den sogenannten Gutsweinen, stellt sich die Frage nach dem optimalen Trinkfenster. Diese Weine sind in der Regel dafür gemacht, jung und frisch genossen zu werden, wenn ihre primären Fruchtaromen von Pfirsich, Apfel und Zitrus am präsentesten sind. Dennoch besitzen auch sie ein gewisses Entwicklungspotenzial.

Als Faustregel gilt, dass die meisten deutschen Gutsweine im Preissegment von 8 bis 15 Euro ihr Optimum innerhalb der ersten Jahre erreichen. Experten empfehlen oft eine optimale Lagerdauer von 2-3 Jahren. In dieser Zeit entwickelt der Wein eine erste Komplexität, rundet seine Säure ab und integriert seine Komponenten zu einem harmonischeren Gesamtbild. Über diesen Höhepunkt hinaus beginnt der Wein langsam abzubauen: Die frische Frucht weicht müderen, oft sherry-ähnlichen Oxidationsnoten, die Farbe wird dunkler und goldener, und die Säure verliert ihre stützende Kraft. Der Wein „kippt“ nicht von heute auf morgen, aber er verliert merklich an Spannung und Lebendigkeit.

Die genaue Lebensdauer hängt jedoch stark von der Qualität des Jahrgangs, der Herkunft und vor allem den Lagerbedingungen ab. Eine konstante, kühle Temperatur um 12-14°C, Dunkelheit und eine liegende Lagerung sind entscheidend, um den Alterungsprozess zu verlangsamen. Wer das Potenzial seiner Weine selbst erkunden möchte, kann einen einfachen Test durchführen.

Ihr Plan für den Kellertest: Das Trinkfenster selbst bestimmen

  1. Kaufen Sie 6 Flaschen eines Gutsweins (8-15€) von einem Winzer Ihres Vertrauens.
  2. Lagern Sie die Flaschen bei konstant 12-14°C an einem dunklen Ort.
  3. Öffnen Sie alle 6 Monate eine Flasche, um die Entwicklung zu verfolgen.
  4. Dokumentieren Sie Veränderungen in Farbe (Goldstich?), Aroma (beginnende Sherry-Noten?) und Frische am Gaumen.
  5. Nach etwa 2-3 Jahren haben Sie ein präzises Gefühl für das optimale Trinkfenster dieses Weintyps entwickelt.

Wie viel müssen Sie für einen weltklasse Riesling wirklich ausgeben?

Die Preisspanne bei Riesling ist enorm und kann für Verwirrung sorgen. Man findet trinkbare Gutsweine für unter 10 Euro, während für rare Trockenbeerenauslesen oder Große Gewächse von Kultwinzern mehrere hundert Euro aufgerufen werden. Die Frage ist also: Wo beginnt die Weltklasse und was rechtfertigt diese Preisunterschiede? Der Schlüssel zum Verständnis liegt in der Qualitätspyramide des VDP (Verband Deutscher Prädikatsweingüter), die eine verlässliche Orientierung bietet.

An der Basis stehen die VDP.GUTSWEINE. Sie sind die Visitenkarte eines Weinguts und bieten für 8-15 Euro oft schon ein exzellentes Preis-Genuss-Verhältnis. Sie sind die perfekten Alltagsweine. Eine Stufe darüber finden sich die VDP.ORTSWEINE (15-25€), die bereits den Charakter ihres Herkunftsortes und seiner typischen Böden (z.B. Schiefer an der Mosel, Kalkstein in Rheinhessen) widerspiegeln. Hier beginnt der erkennbare Terroir-Charakter.

Der Einstieg in die Spitzenklasse erfolgt mit den Weinen aus VDP.ERSTE LAGE (25-45€). Diese Weine stammen aus erstklassigen Weinbergen mit eigenständigem Charakter und bieten bereits eine hohe Komplexität und ein gutes Reifepotenzial. An der Spitze thront das VDP.GROSSE GEWÄCHS (GG) aus VDP.GROSSE LAGE, den besten Parzellen Deutschlands. Hier sprechen wir von Preisen ab 50 Euro aufwärts. Diese Weine sind trockene, terroirgeprägte Meisterwerke von internationalem Format. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die VDP-Stufen und die typischen Preisspannen.

Die VDP-Qualitätspyramide und aktuelle Preise 2024
VDP-Stufe Preisspanne 2024 Beispielwein Charakteristik
Gutswein 8-15€ Basis-Riesling Exzellenter Alltagswein
Ortswein 15-25€ Ortslagen-Riesling Terroir-Charakter
Erste Lage 25-45€ Erste Lage trocken Lagen-Charakter für Kenner
Großes Gewächs 50-200€ Dönnhoff Dellchen GG Weltklasse-Statement

Erfreulicherweise ist die Qualität über alle Stufen hinweg in den letzten Jahren gestiegen. So betont auch Harald Scholl, Chefredakteur des renommierten Weinmagazins VINUM, anlässlich des Riesling Champion 2024:

Die letzten Jahrgänge haben dem Riesling-Freund ausgesprochen genussfreudige Weine beschert. Die Balance ist schon im Basisbereich nahezu perfekt.

– Harald Scholl, VINUM Riesling Champion 2024

Warum eignet sich Riesling besser für Prädikatsweine als Dornfelder?

Prädikatsweine – also Kabinett, Spätlese, Auslese, Beerenauslese und Trockenbeerenauslese – sind die Krönung des deutschen Weinbaus. Sie werden nach dem Zuckergehalt der Trauben bei der Lese (Mostgewicht) klassifiziert. Dass Riesling die unangefochtene Königin dieser Disziplin ist, während die rote Rebsorte Dornfelder hier kaum eine Rolle spielt, hat tiefgreifende physiologische Gründe. Nur ein kleiner Teil der Ernte erreicht die dafür nötige Qualität; offizielle Erntestatistiken belegen, dass oft nur rund 17,6% der Ernte für Prädikatswein geeignet sind, und hier dominiert der Riesling.

Der entscheidende Faktor ist das perfekte Zusammenspiel von Zuckerkonzentration und Säureerhalt. Für die höchsten Prädikatsstufen ist oft der Befall der Trauben durch den Schimmelpilz Botrytis cinerea, die sogenannte Edelfäule, erwünscht. Der Pilz perforiert die Traubenhaut, wodurch Wasser verdunstet und sich Zucker, Säure und Aromen im Inneren der Beere extrem konzentrieren. Der Riesling besitzt die einzigartige Fähigkeit, selbst bei sehr hohen Mostgewichten eine rassige, frische Säure zu bewahren. Diese Säure bildet das notwendige Gegengewicht zur opulenten Süße und verhindert, dass der Wein plump oder klebrig wirkt. Sie verleiht den edelsüßen Weinen ihre unglaubliche Spannung und ihr fast unendliches Reifepotenzial.

Beim Dornfelder ist die Ausgangslage eine völlig andere. Die Sorte besitzt von Natur aus eine deutlich geringere Säurestruktur. Würde man Dornfelder-Trauben bis zur hohen Reife einer Auslese am Stock lassen, würde die Säure so stark abgebaut, dass der resultierende Wein zwar süß, aber auch breit, marmeladig und ohne jede Finesse wäre. Die Balance würde komplett fehlen. Die Edelfäule funktioniert bei Riesling, weil die Sorte über Jahrhunderte für genau dieses Ziel selektiert wurde: eine perfekte Anfälligkeit für Botrytis bei gleichzeitigem Erhalt der Struktur.

Von Edelfäule befallene Rieslingtrauben in goldenem Herbstlicht

Diese genetische Veranlagung macht den Riesling zur idealen Rebsorte für das gesamte Spektrum der Prädikatsweine, von leichtfüßigen Kabinetten bis hin zu den flüssigen Gold-Elixieren der Trockenbeerenauslesen. Der Dornfelder hingegen spielt seine Stärken als unkomplizierter, fruchtiger und farbintensiver Rotwein im trockenen oder halbtrockenen Bereich aus.

Warum Wasabi und Ingwer den Riesling nicht töten, sondern beflügeln

Die Kombination von Wein mit notorisch „schwierigen“ Zutaten wie Wasabi und Ingwer gilt oft als Tabu. Ihre intensive Schärfe und die dominanten Aromen scheinen jeden Wein zu überwältigen. Doch gerade hier zeigt der Riesling, insbesondere in seiner feinherben oder Kabinett-Ausprägung, eine verblüffende Genialität. Anstatt von der Schärfe getötet zu werden, geht er eine harmonische Allianz ein, die beide Partner besser dastehen lässt. Der Schlüssel liegt im Prinzip des Süße-Schärfe-Puffers.

Die Schärfe von Wasabi (Isothiocyanate) oder Ingwer (Gingerole) reizt die Schmerzrezeptoren im Mund. Der Restzucker eines Riesling Kabinett legt sich wie ein schützender Film über diese Rezeptoren und mildert die brennende Sensation erheblich. Doch es passiert noch mehr: Die Süße hebt gleichzeitig die subtilen, nussigen und umami-reichen Aromen des Fisches oder Reises hervor, die sonst von der Schärfe überdeckt würden. Gepaart mit der hohen Säure, die den Gaumen reinigt und für Frische sorgt, entsteht ein dynamisches Wechselspiel. Das Weingut Forstmeister Geltz-Zilliken beschreibt seinen berühmten Rausch Riesling Kabinett treffend: „Mit moderatem Alkoholgehalt von 7,5% ist er ein idealer Begleiter zu scharfer Asiaküche“.

Um diese Harmonie selbst zu erleben, ist eine schrittweise Herangehensweise empfehlenswert. Man sollte nicht sofort mit der vollen Dosis Wasabi starten. Der beste Weg ist, die Interaktion langsam aufzubauen und zu beobachten, wie der Wein auf die steigende Schärfe reagiert. Wichtig ist, einen Riesling mit niedrigem Alkoholgehalt zu wählen. Hoher Alkohol würde die Schärfe unangenehm verstärken und ein brennendes Gefühl am Gaumen hinterlassen. Ein leichter Kabinett mit 7,5-10 % Alkohol ist hier die perfekte Wahl.

Anleitung zur perfekten Riesling-Sushi-Paarung

  1. Wählen Sie einen Riesling Kabinett oder feinherb mit 7,5-10% Alkohol.
  2. Kühlen Sie den Wein gut auf eine Temperatur von 8-10°C.
  3. Beginnen Sie Ihr Mahl mit einem Stück Sashimi oder mildem Nigiri ohne Wasabi, um den reinen Geschmack zu erfassen.
  4. Fügen Sie bei den nächsten Stücken graduell eine kleine Menge Wasabi hinzu.
  5. Achten Sie darauf, wie die Restsüße des Rieslings die Schärfe mildert und die Umami-Noten des Fisches hervorhebt, anstatt sie zu überdecken.

Das Wichtigste in Kürze

  • Das Erfolgsgeheimnis liegt in der Balance: Die Riesling-Säure durchschneidet Fett, während der Restzucker die Schärfe puffert.
  • Die VDP-Klassifikation (Gutswein, Ortswein, Erste/Große Lage) ist der beste Kompass für Qualität und Preis in Deutschland.
  • Für scharfe Gerichte ist ein niedriger Alkoholgehalt entscheidend; ein leichter Kabinett (7,5-10%) ist oft besser als ein kräftiges Großes Gewächs (>12%).

Warum passt Riesling zu fast allem, von Sushi bis Sauerkraut?

Die schier unglaubliche Vielseitigkeit des Rieslings macht ihn zum Favoriten vieler Sommeliers. Kaum eine andere Rebsorte kann ein so breites Spektrum an Gerichten begleiten, von der filigranen japanischen Küche über scharfe Thai-Currys bis hin zum deftigen deutschen Sauerkraut. Diese Anpassungsfähigkeit ist kein Zufall, sondern das Ergebnis seiner einzigartigen strukturellen Vielfalt. Der Riesling ist ein Chamäleon, das je nach Ausbaustil – von knochentrocken über feinherb bis edelsüß – seine Gestalt verändern kann.

Die grundlegende Mechanik der Aromen bleibt dabei dieselbe: Die hohe Säure sorgt für Frische und kann Fette spalten, während der variable Restzucker als Puffer für Schärfe oder als Partner für Süße dient. Zu Sushi mit seiner feinen Säure von Reisessig und der Umami-Note des Fisches passt ein Kabinett mit seiner leichten Süße und lebendigen Säure perfekt. Ein scharfes Thai-Curry mit Kokosmilch verlangt nach einer Spätlese, deren höhere Restsüße die Schärfe bändigt und deren Säure das Fett der Kokosmilch ausbalanciert. Selbst zum traditionellen Sauerkraut, dessen eigene Säure viele Weine alt aussehen lässt, funktioniert ein trockener, kraftvoller Riesling aus der Pfalz oder dem Rheingau, da er eine ebenbürtige Säurestruktur und genug Körper mitbringt.

Eine vom Deutschen Weininstitut (DWI) durchgeführte Seminarreihe hat diese Vielseitigkeit eindrucksvoll bewiesen. Die klare Erkenntnis war, dass für fast jeden Stil der asiatischen Küche ein passender Riesling existiert. Die Faustregel: Je schärfer das Gericht, desto höher darf die Restsüße des Weins sein. Die folgende Matrix gibt eine Orientierung, welcher Riesling-Stil zu welcher Speise passt.

Die Riesling-Matrix: Speisen und passende Stilistiken
Speise Riesling-Stil Restzucker Säure
Sushi/Sashimi Kabinett 20-40g/l Hoch
Thai-Curry scharf Spätlese 45-90g/l Mittel
Sauerkraut Trocken Pfalz/Rheingau <9g/l Moderat
Schwein süß-sauer Feinherb 15-25g/l Hoch
Artischocken Restsüße Spätlese 60g/l+ Niedrig

Am Ende geht es darum, eine Brücke zwischen Wein und Gericht zu bauen. Der Riesling bietet dafür mehr Bausteine als jede andere weiße Rebsorte. Seine Fähigkeit, Süße, Säure und Mineralität in unzähligen Variationen zu kombinieren, macht ihn zum ultimativen Universalwerkzeug für jeden Hobbykoch und Genießer.

Nachdem Sie nun die Mechanik der Aromen und die strukturellen Komponenten des Rieslings verstanden haben, sind Sie gerüstet, die Theorie in die Praxis umzusetzen. Experimentieren Sie mit verschiedenen Stilen und Herkünften, um Ihren persönlichen perfekten Partner für Ihr Lieblingscurry zu finden. Vertrauen Sie Ihrem Gaumen und werden Sie selbst zum Architekten des Genusses.

Geschrieben von Markus Eder, IHK-geprüfter Sommelier und Gastronomiekritiker mit Stationen in der Sternegastronomie. Experte für Food-Pairing, Glaskultur und Servicetechniken.