Veröffentlicht am Mai 15, 2024

Der Silvaner ist weit mehr als nur der klassische Spargelwein; er ist ein vielseitiger, bodenständiger Charakterdarsteller, dessen wahre Stärke in seiner subtilen Komplexität und seinem enormen Potenzial liegt.

  • Seine milde, perfekt integrierte Säure macht ihn nicht nur zum idealen Partner für Spargel, sondern auch besonders magenfreundlich.
  • Wie keine andere Rebsorte übersetzt der Silvaner sein Terroir – besonders den fränkischen Muschelkalk – authentisch ins Glas.

Recommandation : Betrachten Sie den Silvaner nicht nur als saisonalen Begleiter, sondern entdecken Sie sein Reifepotenzial und seine Eignung zu deftiger Hausmannskost, um seine wahre Größe zu erkennen.

Die Spargelzeit ist in Deutschland ein kulinarisches Hochamt. Sobald das „weiße Gold“ gestochen wird, beginnt die Suche nach dem perfekten Weinbegleiter. Traditionell fällt die Wahl fast reflexartig auf einen trockenen Silvaner. Doch diese Reduzierung auf einen reinen Saisonpartner wird dem Silvaner bei Weitem nicht gerecht. Viele Genießer, die sonst vielleicht einen Riesling bevorzugen, übersehen dabei, dass sie es mit einem wahren Juwel der deutschen Weinlandschaft zu tun haben – einem stillen Helden, der oft im Schatten lauterer Rebsorten steht.

Die landläufige Meinung ist einfach: Silvaner hat eine milde Säure und passt deshalb gut. Das ist zwar richtig, aber es ist nur die Oberfläche einer viel tieferen Geschichte. Was, wenn die wahre Genialität des Silvaners nicht nur in dem liegt, was er zum Spargel beiträgt, sondern in seinem ureigenen Charakter? Seine Fähigkeit, den Boden, auf dem er wächst, ehrlich und unverfälscht abzubilden, seine erstaunliche Wandlungsfähigkeit von einem leichten Gutswein bis hin zu einem großen, lagerfähigen Gewächs, und seine Rolle als kulinarischer Allrounder machen ihn zu einer der spannendsten Rebsorten Deutschlands.

Dieser Artikel nimmt Sie mit auf eine Entdeckungsreise. Wir werden ergründen, warum der Silvaner die unangefochtene Leitrebsorte Frankens ist, wie er sein Terroir ins Glas „übersetzt“ und warum seine milde Säure ein Segen für empfindliche Genießer ist. Wir klären, wer das Duell zum Spargel mit Sauce Hollandaise gewinnt, entlarven den Mythos des Bocksbeutels und beweisen, dass es sich lohnt, einen großen Silvaner auch mal zehn Jahre im Keller zu vergessen. Machen Sie sich bereit, den stillen Helden neu zu entdecken.

Um die Facetten dieses faszinierenden Weins vollständig zu verstehen, beleuchten wir die entscheidenden Aspekte, die seine Einzigartigkeit ausmachen. Die folgende Übersicht führt Sie durch die Welt des Silvaners, von seiner Herkunft und seinem Charakter bis hin zu seinen besten kulinarischen Kombinationen.

Welche Leitrebsorte dominiert in Franken und warum ist es nicht der Riesling?

Wer an deutsche Weine denkt, dem kommt oft zuerst der Riesling in den Sinn. Doch in Franken, dem Herzen des Silvaner-Anbaus, sind die Verhältnisse klar verschoben. Der Silvaner ist hier nicht nur eine Rebsorte unter vielen, sondern die unangefochtene Seele der Region. Aktuelle Erhebungen zeigen, dass der Silvaner mit einem Rebflächenanteil von rund 21% die dominierende weiße Rebsorte ist und damit den Riesling weit hinter sich lässt. Doch warum ist das so?

Die Antwort liegt tief in der Geschichte und der Geologie Frankens verborgen. Der Silvaner, obwohl ursprünglich aus Österreich stammend, hat hier seine wahre Heimat gefunden. Er fühlt sich auf den schweren, nährstoffreichen Keuper- und Muschelkalkböden der Region pudelwohl. Diese Böden verleihen ihm seine charakteristische Mineralität und Würze. Der Riesling hingegen bevorzugt die kargen, steilen Schieferlagen, wie man sie an der Mosel oder im Rheingau findet. Er würde auf den fränkischen Böden schlichtweg nicht dieselbe Finesse und Eleganz entwickeln.

Fallbeispiel: 350 Jahre Silvaner-Tradition seit 1659 in Castell

Die historische Vormachtstellung des Silvaners ist kein Zufall. Die erste dokumentierte Pflanzung von Silvaner-Reben in Deutschland erfolgte am 5. April 1659 in Castell, unweit von Würzburg. Diese über 350-jährige Tradition hat die Weinkultur Frankens nachhaltig geprägt und eine tiefe Verbindung zwischen den Winzern, der Rebsorte und dem Land geschaffen. Dieser geologische und historische Vorteil hat den Silvaner zur unbestrittenen fränkischen Leitrebsorte gemacht.

Die Franken haben über Jahrhunderte gelernt, das Beste aus dieser Rebsorte herauszuholen. Sie ist Teil ihrer Identität, ein Kulturgut, das gepflegt und gehegt wird. Der Silvaner ist also nicht zufällig die Nummer eins – er ist es, weil er und Franken eine perfekte Symbiose eingegangen sind.

Warum Silvaner den Boden ehrlicher abbildet als jede andere Sorte

Winzer bezeichnen den Silvaner oft als „Terroir-Übersetzer“. Dieser Begriff beschreibt seine außergewöhnliche Fähigkeit, die Mineralität und Beschaffenheit des Bodens, auf dem er wächst, direkt in den Wein zu transportieren. Während aromatische Sorten wie Sauvignon Blanc oder Riesling oft mit lauter Primärfrucht beeindrucken, hält sich der Silvaner vornehm zurück. Er schafft eine Bühne, auf der der Boden die Hauptrolle spielen kann. Ein Silvaner vom Muschelkalk schmeckt anders als einer vom Keuper oder Buntsandstein – und das auf eine subtile, aber unverkennbare Weise.

Diese Transparenz macht ihn für Kenner so faszinierend. Man schmeckt nicht nur eine Traube, man schmeckt einen Ort. Wie das Deutsche Weininstitut treffend formuliert, zeigt sich hier die wahre Größe des Silvaners. Es geht um die feinen Nuancen, die ein Wein ausdrücken kann.

Je nach Terroir und Mikroklima hat der Silvaner in den einzelnen fränkischen Weingütern jedoch einen deutlich höheren Stellenwert, denn die fränkische Vorzeigerebsorte bringt auf den Muschelkalk- und Keuperböden ganz besondere Weine hervor.

– Deutsches Weininstitut, Rebsortendatenbank Silvaner

Um diese mineralische Vielfalt zu verstehen, muss man sich die Böden Frankens vor Augen führen. Der Muschelkalk, ein Jahrmillionen altes Sedimentgestein aus einem urzeitlichen Meer, verleiht dem Wein eine kühle, fast salzige Mineralität und eine feine, elegante Struktur. Der Keuper, eine Gips-Ton-Mischung, bringt hingegen kräftigere, würzigere und erdigere Weine hervor.

Makroaufnahme von Muschelkalk und Keuper-Gesteinsschichten im fränkischen Weinberg

Diese geologische Vielfalt, die auf dem Bild sichtbar wird, ist der Spielplatz des Silvaners. Er ist wie ein sensibler Künstler, der die Essenz des Bodens auf die Leinwand des Gaumens malt. Diese Bodenständigkeit ist es, die ihn so ehrlich und authentisch macht – ein stiller Held, der nicht mit lauten Aromen prahlt, sondern mit tiefgründigem Charakter überzeugt.

Wie sich die milde Säure des Silvaners positiv auf empfindliche Mägen auswirkt

Einer der meistgenannten Vorzüge des Silvaners ist seine „milde Säure“. Doch was bedeutet das konkret für den Genießer? Viele Weintrinker, insbesondere jene, die empfindlich auf Säure reagieren, meiden Weißweine aus Angst vor Sodbrennen oder einem unwohlen Gefühl im Magen. Hier spielt der Silvaner seine größte Stärke aus: Er ist von Natur aus magenfreundlich. Während ein rassiger Riesling durchaus 7-9 Gramm Säure pro Liter aufweisen kann, bewegt sich ein typischer Silvaner in einem deutlich moderateren Bereich. Wie Weinexperten bestätigen, liegen die Werte oft bei nur 4-5 g/l Säure, was ihn zu einem bekömmlichen Genuss macht.

Diese zurückhaltende Säurestruktur bedeutet jedoch nicht, dass der Wein flach oder langweilig ist. Im Gegenteil: Die Säure ist beim Silvaner perfekt eingebunden. Sie sorgt für Frische und Rückgrat, ohne jemals aggressiv oder spitz zu wirken. Sie stützt die zarten Frucht- und Kräuteraromen und verleiht dem Wein eine saftige Textur, die den Gaumen umschmeichelt, anstatt ihn zu fordern. Das macht ihn nicht nur solo zu einem angenehmen Erlebnis, sondern auch zu einem genialen Essensbegleiter, der die Speisen nicht überdeckt.

Fallbeispiel: Demeter-Silvaner vom Weingut Pix

Ein exzellentes Beispiel für einen extrem magenfreundlichen Wein ist der Grüne Silvaner Gutswein feinherb 2019 vom badischen Demeter-Weingut Pix. Mit nur 4,7 g/l Säure zeigt er, wie durch biodynamische Bewirtschaftung und eine späte, physiologisch reife Lese besonders milde Weine entstehen können. Solche Weine sind ideal für säureempfindliche Liebhaber und beweisen, dass Bekömmlichkeit und Charakter Hand in Hand gehen können.

Für alle, die gezielt nach solchen Weinen suchen, gibt es einige praktische Tipps, um einen besonders säurearmen Silvaner zu finden.

Ihr Plan zur Auswahl eines magenfreundlichen Silvaners

  1. Jahrgang beachten: Wählen Sie Silvaner aus besonders reifen, warmen Jahrgängen wie 2018 oder 2020. Die Trauben entwickeln hier mehr Zucker und weniger scharfe Apfelsäure.
  2. Etikett prüfen: Achten Sie auf Angaben wie „milde Säure“ oder explizite Säurewerte unter 5 g/l. Immer mehr Winzer deklarieren diese Werte als Qualitätsmerkmal.
  3. Biologischer Säureabbau (BSA): Suchen Sie nach Weinen, bei denen die harte Apfelsäure in die weichere Milchsäure umgewandelt wurde (Malolaktik). Dies macht den Wein cremiger und runder.
  4. Herkunft wählen: Greifen Sie zu Silvanern aus wärmeren Lagen Frankens (z.B. am Maindreieck) oder aus Rheinhessen, wo die Reife oft höher ausfällt.
  5. Gereifte Weine bevorzugen: Meiden Sie ganz junge, frisch gefüllte Weine. Ein Silvaner, der bereits 2-3 Jahre reifen durfte, wirkt oft harmonischer und säuremilder.

Silvaner oder Weißburgunder: Wer gewinnt das Duell zum Stangenspargel mit Hollandaise?

Wenn es um Spargel mit der klassischen Sauce Hollandaise geht, wird das Feld der potenziellen Weinpartner enger. Die cremige, buttrige und leicht säuerliche Sauce verlangt nach einem Wein, der sowohl standhalten als auch harmonieren kann. Hier treten oft zwei Favoriten gegeneinander an: der Silvaner und der Weißburgunder. Beide bringen gute Voraussetzungen mit – sie sind nicht zu aromatisch und besitzen eine moderate Säure. Doch wer gewinnt das Duell?

Der Weißburgunder (Pinot Blanc) punktet mit seiner cremigen Textur und seinen dezenten Nuss- und Apfelaromen. Er kann ein guter Begleiter sein, doch er läuft Gefahr, neben der opulenten Hollandaise etwas unterzugehen oder eine gewisse Schwere zu erzeugen. Hier zeigt der Silvaner seine wahre Klasse. Er bringt eine einzigartige vegetabile und kräuterige Note mit, die an Heu, grüne Bohnen oder frische Kräuter erinnert. Genau diese Aromen schaffen eine perfekte Brücke zum Eigengeschmack des Spargels.

Der entscheidende Vorteil des Silvaners liegt jedoch in seiner chemischen Kompatibilität. Der Weinexperte Harald Scholl bringt es auf den Punkt, wenn er die Interaktion auf molekularer Ebene erklärt:

Die schwefelähnlichen Verbindungen im Spargel (Asparagusinsäure) harmonieren besser mit den vegetabilen und nussigen Noten des Silvaners.

– Harald Scholl, Wine&Foodblog Tellerschubser

Diese Harmonie ist der Schlüssel. Der Silvaner bekämpft den Spargelgeschmack nicht, er umarmt ihn. Seine milde Säure schneidet elegant durch die Fülle der Hollandaise, ohne mit ihrer eigenen Säure zu konkurrieren. Er reinigt den Gaumen und macht Lust auf den nächsten Bissen. Der Weißburgunder ist ein freundlicher Nachbar, aber der Silvaner ist der Seelenverwandte des Spargels. In diesem Duell geht der Punkt daher klar an den fränkischen Helden, der mit seiner unaufdringlichen, aber tiefgründigen Art die perfekte Balance schafft.

Welcher Wein passt zu deftiger deutscher Hausmannskost wie Saumagen oder Schäufele?

Die Reduzierung des Silvaners auf einen reinen Spargel- und leichten Sommerwein ist einer der größten Irrtümer der Weinwelt. Seine wahre Stärke zeigt sich in seiner unglaublichen Wandlungsfähigkeit. Gerade wenn es um die deftige, herzhafte deutsche Hausmannskost geht, läuft ein kräftiger Silvaner zur Höchstform auf. Während viele Weißweine von der Intensität eines fränkischen Schäufeles oder eines Pfälzer Saumagens überrollt würden, bietet ein Silvaner vom Keuper oder aus dem Holzfass die nötige Substanz und Struktur.

Seine erdige Mineralität und die oft vorhandenen Noten von gelben Früchten, Nüssen und Kräutern machen ihn zum idealen Partner für Gerichte mit Röstaromen, kräftigen Soßen und intensivem Fleischgeschmack. Er besitzt genug Körper, um nicht unterzugehen, aber gleichzeitig genug Frische, um die Fülle der Speisen auszubalancieren. Er wirkt wie ein Katalysator, der die Aromen des Essens hervorhebt, anstatt sie zu dominieren.

Die folgenden Kombinationen zeigen, wie vielseitig ein Silvaner zur traditionellen deutschen Küche sein kann:

  • Fränkisches Schäufele: Hier ist ein kräftiger Silvaner Kabinett trocken vom Muschelkalk die perfekte Wahl. Seine saftige Säure schneidet durch das Fett der Kruste, während seine Mineralität die Röstaromen des Fleisches aufgreift.
  • Pfälzer Saumagen: Dieses Gericht verlangt nach einem Wein mit Körper. Ein Silvaner aus Rheinhessen, vielleicht sogar mit dezentem Holzeinsatz, bringt die nötige Fülle und würzige Noten mit, um gegen die herzhafte Füllung zu bestehen.
  • Schwäbische Maultaschen in der Brühe: Ein leichter, unkomplizierter Guts-Silvaner ist hier ideal. Er erfrischt den Gaumen und ergänzt die feinen Aromen der Füllung, ohne die delikate Brühe zu überlagern.
  • Nürnberger Rostbratwürste: Die typische Majoran-Würze der Würstchen harmoniert wunderbar mit den kräuterigen Noten eines Silvaners vom Keuperboden.
  • Sauerbraten: Man denkt vielleicht an Rotwein, aber ein gereifter, trockener Silvaner Spätlese kann eine Offenbarung sein. Seine milde, integrierte Säure harmoniert exzellent mit der süß-sauren Soße, ohne einen Säurekonflikt zu erzeugen.

Der Silvaner beweist hier seine Bodenständigkeit und seinen Charakter als verlässlicher Partner für die Küche seiner Heimat. Er ist kein abgehobener Snob, sondern ein ehrlicher Arbeiter, der genau weiß, wie man deftige Kost adelt.

Welches Fleischgericht perfekt mit einem im Holzfass gereiften Silvaner harmoniert

Spätestens wenn der Silvaner ins Holzfass kommt, verlässt er endgültig die Nische des einfachen Zechweins. Im Barrique oder großen Holzfass ausgebaute Silvaner entwickeln eine beeindruckende Komplexität, Textur und Aromatik, die sie zu ernstzunehmenden Konkurrenten für große Burgunder machen. Die dezenten Röstaromen, Noten von Vanille, Nüssen und eine cremige Textur eröffnen völlig neue Möglichkeiten beim Food-Pairing, insbesondere mit hellem Fleisch.

Eines der Gerichte, das wie für einen solchen Wein geschaffen scheint, ist das klassische Wiener Schnitzel vom Kalb mit buttrigen Bratkartoffeln. Hier findet eine wahre Traumhochzeit statt. Die buttrige, knusprige Panade des Schnitzels spiegelt die cremige Textur und die dezenten Röstnoten des im Holz gereiften Silvaners wider. Die feine Säure des Weins sorgt gleichzeitig für die nötige Frische, um den Gaumen zu beleben und das Gericht nicht zu schwer wirken zu lassen.

Goldbraunes Wiener Schnitzel mit Bratkartoffeln auf rustikalem Holztisch, daneben ein gefülltes Weinglas

Doch die Möglichkeiten sind weitaus vielfältiger. Ein kräftiger, im Holz ausgebauter Silvaner ist ein kulinarisches Chamäleon, das sich an verschiedenste Zubereitungsarten anpasst:

  • Gebratenes Schweinefilet mit Kräuterkruste: Die Röstaromen des Weins aus dem Holzfass bilden eine perfekte aromatische Brücke zur knusprigen Kruste des Filets.
  • Geschmorte Kalbsbäckchen: Die samtige, dichte Textur eines im Barrique gereiften Silvaners kann es mühelos mit der zarten Struktur des Schmorgerichts aufnehmen.
  • Geflügel in Rahmsoße: Die Cremigkeit des Weins harmoniert exzellent mit sahnigen Soßen, während seine Würze dem oft milden Geflügelgeschmack Kontur verleiht.
  • Vegetarische Alternative: Gebratene Kräuterseitlinge mit Selleriepüree sind ein perfekter Partner. Die erdigen Noten der Pilze und des Selleries finden sich in den Tertiäraromen eines gereiften Holzfass-Silvaners wieder.

Ein im Holz gereifter Silvaner ist somit der Beweis, dass diese Rebsorte auch die große Bühne beherrscht. Er zeigt eine Tiefe und Komplexität, die ihn zu einem ebenbürtigen Partner für anspruchsvolle Fleischgerichte macht und sein Image als reiner „Spargelwein“ endgültig ad acta legt.

Mythos Bocksbeutel: Ist die bauchige Flasche ein Qualitätsgarant oder altmodisch?

Kaum eine Flaschenform ist so untrennbar mit einer Weinregion verbunden wie der Bocksbeutel mit Franken. Für viele ist die bauchige, flache Flasche das Synonym für fränkischen Wein, insbesondere für Silvaner. Lange Zeit galt sie als ein Zeichen für Tradition und Qualität. Doch in den letzten Jahren gerät dieser Mythos ins Wanken. Ist der Bocksbeutel heute noch ein Garant für einen guten Tropfen oder ist er eher ein Relikt aus alten Zeiten, das einer modernen Weinwelt im Wege steht?

Die Realität ist, dass sich eine neue Generation fränkischer Winzer zunehmend vom traditionellen Bocksbeutel emanzipiert. Sie sehen in ihm ein Symbol für eine eher rustikale, altbackene Weinart, das nicht mehr zu ihren filigranen, eleganten und oft international ausgerichteten Weinstilen passt. Wie die Redaktion von Wine in Black beobachtet, ist die Wahl der Flaschenform zu einem Statement geworden:

Junge fränkische Winzer verzichten bewusst auf den Bocksbeutel und nutzen stattdessen schlanke Burgunder- oder Schlegelflaschen, um Modernität und einen neuen Stil zu signalisieren.

– Wine in Black Redaktion, Franken: Weinregion zwischen Tradition und Innovation

Diese Entwicklung wird durch Marktdaten untermauert. Gerade im Premiumsegment, wo die besten und lagerfähigsten Silvaner zu finden sind, verliert der Bocksbeutel an Boden. Laut aktuellen Marktbeobachtungen werden mittlerweile weniger als 40% der fränkischen Premium-Weine in den Bocksbeutel gefüllt. Viele Spitzenwinzer, deren Große Gewächse international gefeiert werden, haben komplett auf die schlankere Burgunderflasche umgestellt. Sie passt nicht nur besser in gängige Weinregale und Klimaschränke, sondern signalisiert auch optisch die Zugehörigkeit zur weltweiten Elite der Terroirweine.

Der Bocksbeutel ist also kein verlässlicher Qualitätsgarant mehr. Er steht für eine bestimmte Tradition, die von vielen Winzern weiterhin mit Stolz gepflegt wird. Doch die besten und modernsten Silvaner Frankens finden sich heute oft in einer anderen Hülle. Für den Verbraucher bedeutet das: Die Qualität steckt im Wein, nicht in der Flasche. Es lohnt sich, offen für beide Formen zu sein und sich nicht vom Äußeren leiten zu lassen.

Das Wichtigste in Kürze

  • Der Silvaner dominiert in Franken nicht zufällig, sondern aufgrund seiner perfekten Anpassung an die Muschelkalk- und Keuperböden seit 1659.
  • Seine milde, magenfreundliche Säure und seine Fähigkeit, Terroir authentisch abzubilden, machen ihn einzigartig und nicht nur zum idealen Spargelwein.
  • Moderne Silvaner, oft in Burgunderflaschen, beweisen ein enormes Reifepotenzial und widerlegen das Klischee des einfachen, jungen Weins.

Lohnt es sich, einen Großen Silvaner 10 Jahre im Keller zu vergessen?

Die wohl größte Fehleinschätzung bezüglich des Silvaners ist, ihn als einen Wein zu betrachten, der jung getrunken werden muss. Während dies auf einfache Gutsweine zutrifft, schlummert in den Spitzenqualitäten – insbesondere in den Großen Gewächsen (GG) von renommierten Lagen – ein enormes Reifepotenzial. Einen solchen Wein nach dem Kauf sofort zu öffnen, wäre, als würde man einen Marathonläufer nur die ersten 100 Meter sprinten sehen. Die wahre Magie entfaltet sich erst mit der Zeit.

Ein großer Silvaner durchläuft im Keller faszinierende Entwicklungsphasen. Was als frisch-fruchtiger Wein beginnt, wandelt sich über die Jahre zu einem vielschichtigen, komplexen Charakterdarsteller. Die Primäraromen von grünem Apfel und Birne treten in den Hintergrund und machen Platz für Tertiäraromen, die an Quitte, getrocknete Kräuter, Nüsse, Honig und sogar an feuchtes Herbstlaub erinnern. Die Mineralität wird präsenter und die Textur am Gaumen wird seidiger und dichter.

Fallbeispiel: Würzburger Stein Silvaner – Langzeitpotenzial bewiesen

Die berühmte Lage Würzburger Stein ist ein Paradebeispiel für das Lagerpotenzial des Silvaners. Die Großen Gewächse der dort ansässigen VDP-Weingüter wie Bürgerspital, Juliusspital oder Staatlicher Hofkeller sind weltberühmt. Diese Weine, die in der Ersten Lage oft zwischen 12-15 Euro kosten, zeigen nach zehn oder mehr Jahren Lagerung eine atemberaubende Komplexität. Sie entwickeln komplexe Tertiäraromen und behalten gleichzeitig eine beeindruckende Frische und Spannung – der ultimative Beweis, dass Silvaner ein zutiefst unterschätzter Lagerwein ist.

Die folgende Tabelle zeigt idealtypisch die Entwicklung eines VDP.Großes Gewächs Silvaners über die Zeit:

Reifephasen eines VDP.Großes Gewächs Silvaners
Reifephase Zeitraum Charakteristik Aromenprofil
Phase 1 (Jugend) 0-3 Jahre Primärfrucht dominant, spritzig Grüner Apfel, Birne, frische Kräuter
Phase 2 (Erste Reife) 4-8 Jahre Erste Reifenoten, Integration Quitte, gelbe Früchte, Nüsse, mineralische Komplexität
Phase 3 (Vollreife) 10+ Jahre Tertiäraromen dominieren, komplex Honig, geröstete Nüsse, feuchtes Laub, Pilze

Die Antwort auf die Frage ist also ein klares Ja. Es lohnt sich nicht nur, einen großen Silvaner zu vergessen – es ist fast eine Pflicht für jeden wahren Weinliebhaber. Wer ihm die Zeit gibt, wird mit einem einzigartigen, tiefgründigen und unvergesslichen Weinerlebnis belohnt, das die landläufige Meinung über diese Rebsorte für immer verändert.

Jetzt, da Sie die verborgenen Stärken und die Vielseitigkeit des Silvaners kennen, besteht der nächste logische Schritt darin, diese faszinierende Welt selbst zu erkunden. Beginnen Sie Ihre Entdeckungsreise, indem Sie bewusst einen Silvaner aus einer spezifischen Lage oder einen gereiften Jahrgang verkosten.

Geschrieben von Julia Bergmann, Kultur- und Weinbotschafterin sowie Reisejournalistin mit Schwerpunkt auf deutsche Weinregionen. 12 Jahre Erfahrung in Weintourismus und Eventmanagement.