
Das pelzige Gefühl durch Tannine ist kein Weinfehler, sondern ein Qualitätsmerkmal, das die Struktur und das Mundgefühl eines Weins definiert.
- Tannine binden Proteine, was den Mund austrocknet, aber auch ein fettreiches Steak perfekt ausbalanciert und es zarter schmecken lässt.
- Durch gezielte Einwirkung von Sauerstoff (Dekantieren) und den richtigen Holzausbau wird diese Textur verfeinert und entwickelt sich von rau zu samtig.
Empfehlung: Lernen Sie, Tannine mit unserem Schwarztee-Experiment zu „kalibrieren“, um sie bewusst wahrzunehmen, statt sie nur als störend zu empfinden.
Fast jeder Rotwein-Anfänger kennt dieses Gefühl: Der erste Schluck eines kräftigen Rotweins, und plötzlich fühlt sich der ganze Mund rau, trocken und pelzig an. Die Zunge scheint am Gaumen zu kleben, und der Genuss weicht einem Gefühl der Irritation. Oft lautet der gut gemeinte Ratschlag dann: „Den musst du zu einem Steak trinken, dann passt das schon.“ Doch diese Antwort lässt die eigentliche Frage unbeantwortet und das Unbehagen zurück. Was, wenn dieses pelzige Gefühl kein Fehler ist, den man tolerieren muss, sondern eine Eigenschaft, die man verstehen und sogar steuern kann?
Die gängige Erklärung, dass dies einfach an den „Tanninen“ liegt, ist zwar korrekt, aber unvollständig. Es kratzt nur an der Oberfläche dessen, was wirklich im Mund passiert. Dieser Artikel geht einen Schritt weiter. Wir betrachten das Thema nicht aus der Perspektive eines Winzers, sondern als Experten für Textur und Mundgefühl. Wir werden die „Sprache“ der Tannine entschlüsseln – eine texturale Sprache, die, einmal verstanden, den Unterschied zwischen einem unangenehmen Gefühl und einem tiefen, harmonischen Genusserlebnis ausmacht.
Stellen Sie sich vor, Sie könnten dieses raue Gefühl nicht nur erklären, sondern es gezielt einsetzen, um ein Steak noch zarter schmecken zu lassen. Stellen Sie sich vor, Sie wüssten genau, wie Sie einen Wein behandeln müssen, um seine texturale Härte in puren Samt zu verwandeln. Wir werden die chemischen Vorgänge auf der Zunge beleuchten, den Einfluss von Sauerstoff und Holzfassreifung analysieren und Ihnen sogar ein einfaches Experiment an die Hand geben, mit dem Sie Ihren Gaumen für die faszinierende Welt der Weinarchitektur schulen können. Das Ziel ist es, das pelzige Gefühl von einem Störfaktor in ein bewusst wahrgenommenes Qualitätsmerkmal zu verwandeln.
In diesem umfassenden Leitfaden entschlüsseln wir die Geheimnisse des Mundgefühls von Rotwein. Wir untersuchen die faszinierende Interaktion von Tanninen und Proteinen, die entscheidend für das perfekte Food-Pairing ist, und zeigen Ihnen praktische Methoden, um die Textur eines Weins zu verstehen und zu verfeinern.
Sommaire: Die Architektur des Mundgefühls bei Rotwein
- Was passiert auf der Zunge, wenn Tannin auf Fleisch trifft?
- Dekantieren: Wie Sauerstoff harte Gerbstoffe in Samt verwandelt
- Der metallische Geschmack: Warum Rotwein zu Fisch oft schiefgeht
- Wie Sie mit schwarzem Tee lernen, Tanninstrukturen zu verstehen
- Warum fallen Gerbstoffe als Satz aus und wie trennen Sie ihn ab?
- Barrique oder großes Holzfass: Welcher Ausbau steht dem Spätburgunder besser?
- Light, Medium oder Heavy Toast: Wie das Ausbrennen des Fasses den Wein würzt
- Schmeckt alkoholfreier Wein mittlerweile oder ist es nur teurer Traubensaft?
Was passiert auf der Zunge, wenn Tannin auf Fleisch trifft?
Das oft als unangenehm empfundene, pelzige Gefühl im Mund ist eine rein physikalische und chemische Reaktion. Verantwortlich dafür sind die Tannine, eine Gruppe von Polyphenolen, die in den Schalen, Kernen und Stielen von Weintrauben vorkommen. Wenn diese auf unsere Mundschleimhaut treffen, passiert etwas Faszinierendes: Die Tannine verbinden sich mit den Proteinen in unserem Speichel. Laut einer Erklärung von Weinfreunde.de zerstören die Tannine die Schmierschicht der Speichelproteine, die daraufhin ihre Gleitfähigkeit verlieren. Das Ergebnis ist genau jenes raue, trockene und zusammenziehende Gefühl, das wir als adstringierend bezeichnen. Es ist also keine Geschmacksrichtung wie süß oder sauer, sondern ein reines Tastgefühl – eine Veränderung der Textur in unserem Mund.
Genau diese Eigenschaft wird jedoch zum genialen Partner, wenn ein protein- und fettreiches Gericht wie ein Steak ins Spiel kommt. Hier entsteht die sogenannte Protein-Tannin-Brücke, die für ein harmonisches Geschmackserlebnis sorgt. Die Tannine des Weins reagieren nicht mehr nur mit dem Speichel, sondern vorrangig mit den Proteinen und Fetten des Fleisches. Diese Interaktion hat einen doppelten Effekt: Einerseits „reinigen“ die Tannine den Gaumen vom Fettfilm des Steaks und gleichen die Mundfülle aus, was jeden neuen Bissen frisch und intensiv schmecken lässt. Andererseits macht das Fett im Fleisch die Tannine weicher und runder. Die aggressive Adstringenz wird abgefedert, und der Wein wirkt plötzlich samtiger und zugänglicher, während das Steak selbst als noch zarter und saftiger empfunden wird. Es ist eine perfekte Symbiose, bei der sich Wein und Speise gegenseitig veredeln.
Dekantieren: Wie Sauerstoff harte Gerbstoffe in Samt verwandelt
Junge, kräftige Rotweine können oft von einer besonders markanten, fast schon aggressiven Tanninstruktur geprägt sein. Doch diese Härte ist kein endgültiger Zustand. Mit einem einfachen, aber wirkungsvollen Ritual lässt sich die Textur eines Weins maßgeblich beeinflussen: dem Karaffieren, also dem gezielten Belüften in einer bauchigen Karaffe. Dieser Prozess ist weit mehr als nur eine stilvolle Präsentation; er ist eine bewusste Samt-Transformation, die direkt auf die Molekülstruktur der Tannine einwirkt.
Wenn der Wein in die Karaffe umgefüllt wird, vergrößert sich seine Oberfläche dramatisch und er kommt intensiv mit Sauerstoff in Kontakt. Dieser Sauerstoff löst eine beschleunigte Reifung aus. Die langen, kantigen Tanninmoleküle beginnen zu polymerisieren, das heißt, sie verbinden sich zu größeren, runderen Ketten. Eine Studie zum Weinservice erklärt, dass durch diesen zusätzlichen Luftkontakt die Tannine weicher werden und der Wein „zugänglicher“ wirkt. Das raue, adstringierende Gefühl am Gaumen wird spürbar gemildert, und die fruchtigen Aromen des Weins, die zuvor von der Tanninstruktur überdeckt waren, können sich freier entfalten. Der Wein wirkt harmonischer, runder und schneller trinkreif.

Wie Sie auf dem Bild erkennen können, ist das Ziel des Karaffierens die maximale Sauerstoffzufuhr. Besonders tanninreiche und komplexe Weine, die in ihrer Jugend noch verschlossen und kantig wirken, profitieren enorm von dieser Behandlung. Eine Stunde in der Karaffe kann einen Wein um Jahre „altern“ lassen – zumindest was sein Mundgefühl betrifft. Es ist die einfachste Methode, um die Mundgefühl-Architektur eines Weins aktiv zu gestalten und ihm zu einer samtigeren Textur zu verhelfen.
Der metallische Geschmack: Warum Rotwein zu Fisch oft schiefgeht
Die alte Regel „Weißwein zu Fisch, Rotwein zu Fleisch“ hat einen sehr handfesten, wissenschaftlichen Hintergrund, der direkt mit der texturverändernden Eigenschaft der Tannine zusammenhängt. Während die Protein-Tannin-Brücke bei einem Steak für Harmonie sorgt, führt die Kombination von Rotwein und Fisch oft zu einem unangenehmen, fast metallischen Geschmack. Dieses Phänomen hat zwei Hauptursachen, die sich gegenseitig verstärken.
Erstens sind die Proteine in Fisch anders strukturiert als in rotem Fleisch. Sie sind feiner und reagieren weniger gut mit den kräftigen Tanninen. Anstatt einer harmonischen Verbindung kommt es zu einem geschmacklichen „Clash“. Zweitens, und das ist der entscheidende Punkt, enthalten Rotweine geringe Mengen an Eisen. Wenn dieses Eisen auf die im Fisch enthaltenen, ungesättigten Fettsäuren (Fischöl) trifft, oxidieren diese extrem schnell. Es entsteht ein unangenehm ranziger, metallischer bis fischiger Geschmack im Mund. Die adstringierende Wirkung der Tannine verstärkt dieses negative Erlebnis noch, da sie den Mund austrocknet und diese unerwünschten Aromen länger auf der Zunge verweilen lässt.
Es gibt zwar Ausnahmen, wie sehr leichte, tannin-arme Rotweine zu fettreichem Thunfisch, doch in den meisten Fällen ist die Kombination heikel. Die folgende Tabelle, basierend auf einer Analyse zur Weinbegleitung, gibt eine Orientierung, warum bestimmte Weine besser zu verschiedenen Fischarten passen und Tannine meist vermieden werden.
| Fischart | Fettgehalt | Tanninverträglichkeit | Empfohlener Wein |
|---|---|---|---|
| Makrele/Hering | Hoch (fettreich) | Mittel | Leichter Rosé |
| Forelle | Niedrig (mager) | Sehr gering | Weißwein |
| Lachs | Mittel-hoch | Mittel | Rosé vom Spätburgunder |
| Zander | Sehr niedrig | Keine | Riesling |
Diese Übersicht zeigt deutlich: Je magerer und zarter der Fisch, desto weniger verträgt er Tannine. Die Wahl fällt fast immer auf Weiß- oder Roséweine, die keine oder nur sehr feine Gerbstoffe besitzen und stattdessen mit ihrer Säure einen frischen Kontrapunkt zum Fisch setzen.
Wie Sie mit schwarzem Tee lernen, Tanninstrukturen zu verstehen
Die Fähigkeit, Tannine nicht nur als störend, sondern als strukturelles Element eines Weins zu erkennen, kann trainiert werden. Der beste und einfachste Weg zur Tannin-Kalibrierung führt über ein Getränk, das wir alle kennen: schwarzen Tee. Tee enthält, genau wie Rotwein, Tannine, und eignet sich daher hervorragend als Übungsfeld, um den Gaumen für das adstringierende Gefühl zu sensibilisieren und verschiedene Intensitäten bewusst wahrzunehmen.
Das Prinzip ist einfach: Durch die Variation der Ziehzeit des Tees können Sie die Extraktion der Tannine direkt steuern. Ein kurz gezogener Tee wird nur leicht herb sein, während ein lange gezogener Tee ein intensiv pelziges und zusammenziehendes Gefühl im Mund hinterlässt. Indem Sie diesen Effekt bewusst provozieren und analysieren, lernen Sie, die Textur von der reinen Geschmacksaromatik zu trennen. Sie entwickeln ein Vokabular für das, was Sie fühlen, und können diese Wahrnehmung anschließend auf Wein übertragen. Plötzlich werden Sie feststellen, dass ein Wein nicht einfach nur „pelzig“ ist, sondern vielleicht eine „feinkörnige“, „samtige“, „griffige“ oder „raue“ Tanninstruktur besitzt.
Ihre Anleitung zur Tannin-Kalibrierung mit Tee
- Vorbereitung: Bereiten Sie drei Tassen eines kräftigen Schwarztees vor (z. B. Assam oder ein kräftiger Ostfriesentee). Verwenden Sie pro Tasse einen Teebeutel oder einen Löffel losen Tee und gießen Sie alle mit kochendem Wasser auf.
- Ziehzeiten variieren: Lassen Sie die erste Tasse 2 Minuten, die zweite 4 Minuten und die dritte 6-8 Minuten ziehen. Entfernen Sie dann die Teebeutel bzw. seihen Sie den Tee ab.
- Bewusst verkosten: Verkosten Sie die Tees nacheinander, beginnend mit der kürzesten Ziehzeit. Konzentrieren Sie sich nicht auf den Geschmack, sondern ausschließlich auf das Gefühl im Mund. Achten Sie darauf, wie sich Ihre Zunge und Ihr Gaumen anfühlen. Spüren Sie, wie das Gefühl mit jeder Tasse rauer und trockener wird.
- Den Effekt benennen: Beschreiben Sie das Gefühl für sich. Wie Wein-Verstehen.de es treffend formuliert: „Deine Zunge klebt am Gaumen fest und irgendwie ist dein ganzer Mund pelzig. Alles zieht sich zusammen.“ Dieses Gefühl ist die Adstringenz.
- Den Transfer zum Wein schaffen: Nehmen Sie bei der nächsten Rotweinprobe diese geschulte Wahrnehmung mit. Versuchen Sie, die Intensität und die Art des Tannins (z.B. fein, grob, reif, unreif) zu identifizieren, genau wie Sie es beim Tee getan haben.
Warum fallen Gerbstoffe als Satz aus und wie trennen Sie ihn ab?
Besonders bei Rotweinen, die bereits einige Jahre oder sogar Jahrzehnte gereift sind, findet man oft einen feinen, dunklen Bodensatz in der Flasche. Dieser Satz, auch Depot genannt, wird von Laien manchmal fälschlicherweise als Weinfehler angesehen. In Wahrheit ist er jedoch ein Zeichen für eine natürliche Reifung und eine hohe Qualität. Dieses Depot besteht zu einem großen Teil aus genau jenen Tanninen, die wir zuvor als texturgebende Elemente kennengelernt haben.
Im Laufe der Zeit in der Flasche durchlaufen die Tannine einen langsamen, aber stetigen Wandel. Sie polymerisieren weiter, verbinden sich also zu immer größeren Molekülketten. Sie binden sich auch an die Farbstoffe (Anthocyane) des Weins. Ab einer bestimmten Größe werden diese Molekülkomplexe zu schwer, um in der Flüssigkeit gelöst zu bleiben. Sie fallen aus und setzen sich am Boden der Flasche als Depot ab. Dieser Prozess ist entscheidend für die Entwicklung des Weins: Er führt dazu, dass die Tanninstruktur im Wein selbst feiner, weicher und samtiger wird. Der Wein verliert seine jugendliche Härte und gewinnt an Eleganz und Komplexität.
Qualitätsmerkmal Depot: Die Trennung vom Wein
Wie die Académie du Vin erklärt, bilden Weine, die über Jahrzehnte gealtert sind, fast immer einen feinsandigen Bodensatz. Dieses Depot, bestehend aus Weinstein sowie polymerisierten Gerb- und Farbstoffen, ist ein klares Reifezeichen. Um zu verhindern, dass dieser Satz den Wein im Glas trüb macht und am Gaumen Bitterkeit verströmt, muss er sorgfältig vom Wein getrennt werden. Dies geschieht durch das Dekantieren – hier aber nicht zum Belüften, sondern zum behutsamen Trennen von Flüssigkeit und Feststoff.

Die traditionelle Methode hierfür ist das Dekantieren über einer Kerze. Die Flasche wird sehr vorsichtig aus dem Keller geholt, um das Depot nicht aufzuwirbeln. Dann wird der Wein langsam und ohne Unterbrechung in eine Karaffe umgegossen. Die Kerze dient dabei als Lichtquelle, um den Flaschenhals von unten zu durchleuchten. Sobald die ersten Krümel des Depots im Flaschenhals sichtbar werden, wird der Gießvorgang gestoppt. So verbleibt der Satz in der Flasche, und nur der klare, gereifte Wein gelangt in die Karaffe und anschließend ins Glas.
Barrique oder großes Holzfass: Welcher Ausbau steht dem Spätburgunder besser?
Die Mundgefühl-Architektur eines Weins wird nicht nur durch die Traube selbst, sondern maßgeblich durch den Ausbau im Holzfass geprägt. Holz gibt eigene Tannine an den Wein ab und beeinflusst durch eine langsame, kontrollierte Mikrooxidation dessen Struktur. Doch Fass ist nicht gleich Fass. Die Wahl zwischen einem kleinen Barrique (typischerweise 225 Liter, oft aus neuem Holz) und einem großen, traditionellen Holzfass (1000 Liter oder mehr, meist aus älterem Holz) hat enorme Auswirkungen, gerade bei einer sensiblen Rebsorte wie dem Spätburgunder (Pinot Noir).
Ein kleines Barrique hat eine relativ große innere Holzoberfläche im Verhältnis zum Weinvolumen. Ist das Fass neu, gibt es eine erhebliche Menge an frischen Holztanninen und Röstaromen (Vanille, Karamell, Rauch) an den Wein ab. Dies verleiht dem Wein eine zusätzliche strukturelle Komponente, macht ihn dichter und komplexer. Laut dem Weingut Roter Bur verstärkt der Ausbau im Holzfass den Tannin-Effekt, insbesondere bei neuen Fässern. Der Spätburgunder wird dadurch kräftiger, würziger und erhält ein Gerbstoffgerüst, das ihm eine lange Lagerfähigkeit verleiht. Viele Winzer bevorzugen dabei französische Eiche, da sie als feiner und eleganter in ihrer Tanninabgabe gilt als andere Eichenarten.
Im Gegensatz dazu dient das große Holzfass weniger der Aromen- und Tanninabgabe. Aufgrund des geringeren Verhältnisses von Holzoberfläche zu Weinvolumen und der Tatsache, dass diese Fässer oft schon viele Jahre in Gebrauch und somit geschmacksneutral sind, ist der Holzeinfluss minimal. Der Fokus liegt hier auf der langsamen Reifung durch den minimalen Sauerstoffkontakt, den die Holzporen ermöglichen. Dies führt dazu, dass die traubeneigenen Tannine des Spätburgunders über die Zeit weicher und samtiger werden, ohne dass zusätzliche Holztannine hinzukommen. Das Ergebnis ist ein Wein, der stärker von seiner Frucht, seiner Finesse und seiner sortentypischen Eleganz geprägt ist. Die Wahl des Fasses ist also eine stilistische Entscheidung des Winzers: Soll der Wein durch das Holz an Struktur und Würze gewinnen (Barrique) oder soll die Frucht und Eleganz der Traube im Vordergrund stehen (großes Holzfass)?
Light, Medium oder Heavy Toast: Wie das Ausbrennen des Fasses den Wein würzt
Der Einfluss des Holzfasses auf den Wein geht weit über die reine Tanninabgabe hinaus. Ein entscheidender Schritt bei der Herstellung eines Barriquefasses ist das „Toasting“ – das Ausbrennen der Innenseite über offenem Feuer. Dieser Prozess verändert nicht nur die chemische Struktur des Holzes, sondern karamellisiert auch den darin enthaltenen Holzzucker und erzeugt eine breite Palette an Aromen, die später an den Wein abgegeben werden. Der Grad des Toastings – von leicht (Light) bis stark (Heavy) – ist eine Kunst für sich und wirkt sich direkt auf die Aromatik und die Tanninstruktur des Weins aus.
Ein Light Toast (bei ca. 120-180°C) erhält die natürlichen Holzaromen und gibt subtile Noten von Kokosnuss und frischer Vanille ab. Die Holztannine bleiben jedoch relativ aggressiv und „grün“, was dem Wein eine herbere Struktur verleihen kann. Ein Medium Toast (ca. 180-200°C) ist der gängigste Grad. Hier entstehen intensive Aromen von Karamell, gerösteten Nüssen und Kaffee. Die Tannine des Holzes werden bereits leicht aufgespalten und wirken milder und süßlicher, was zu einer runderen, harmonischeren Textur im Wein führt. Beim Heavy Toast (bis 230°C) dominieren kräftige Rauch-, Mokka- und dunkle Schokoladennoten. Durch die hohe Hitze werden die Tanninmoleküle im Holz stark aufgebrochen, was dazu führt, dass sie den Wein weicher und geschmeidiger machen, ihm aber gleichzeitig eine markante, rauchige Würze verleihen.
Die Wahl des Toasting-Grades ist somit ein entscheidendes Werkzeug für den Winzer, um den finalen Stil des Weins zu formen – von fruchtbetont mit subtiler Würze bis hin zu einem kraftvollen, rauchigen Charakter. Die folgende Tabelle, basierend auf einer Analyse der Fassreifung, fasst die Wirkung zusammen.
| Toasting-Grad | Temperatur | Hauptaromen | Tanninwirkung | Ideales Food-Pairing |
|---|---|---|---|---|
| Light Toast | 120-180°C | Vanille, Kokosnuss | Erhält aggressive Tannine | Wildragout, feine Saucen |
| Medium Toast | 180-200°C | Karamell, Nuss | Mildert Tannine leicht | Geschmortes, Braten |
| Heavy Toast | 200-230°C | Kaffee, Rauch | Bricht Tannine auf, macht weicher | Grillgerichte, Schwenkbraten |
Das Wichtigste in Kürze
- Das „pelzige“ Gefühl ist eine physische Reaktion: Tannine binden Speichelproteine und trocknen den Mund aus. Diese Eigenschaft lässt sie jedoch perfekt mit den Proteinen und Fetten von Steak harmonieren.
- Die Textur von Tanninen ist nicht statisch. Durch Sauerstoff (Dekantieren) werden sie weicher und runder, während der Ausbau im Holzfass (Größe und Toasting) die Struktur und Aromatik gezielt formt.
- Die Wahrnehmung von Tanninen kann trainiert werden. Das bewusste Verkosten von schwarzem Tee mit unterschiedlichen Ziehzeiten ist der beste Weg, um den Gaumen für die texturale Sprache des Weins zu schulen.
Schmeckt alkoholfreier Wein mittlerweile oder ist es nur teurer Traubensaft?
Die Frage, ob alkoholfreier Wein eine ernstzunehmende Alternative ist, beschäftigt viele Weinliebhaber. Lange Zeit haftete ihm der Ruf an, nicht mehr als teurer Traubensaft zu sein – flach, süßlich und ohne den Charakter eines echten Weins. Doch der Markt und die Technologie haben sich rasant entwickelt. Insbesondere in Deutschland wächst das Interesse enorm, wie eine Weinmarktanalyse zeigt, nach der 2024 von alkoholfreiem Wein doppelt so viel gekauft wurde wie im Vorjahr, während der Gesamtweinmarkt leicht rückläufig war.
Die entscheidende Herausforderung bei der Herstellung ist die Rolle des Alkohols. Er ist nicht nur Rauschmittel, sondern auch ein entscheidender Geschmacksträger, der Aromen transportiert und dem Wein Körper und Fülle verleiht. Wird er entzogen, geht zwangsläufig ein Teil der Komplexität verloren. Moderne, schonende Verfahren wie die Vakuumdestillation bei niedrigen Temperaturen haben die Qualität jedoch drastisch verbessert. Hierzu äußert sich ein Experte aus dem Fachgroßhandel:
Den 1:1-Vergleich kann entalkoholisierter Wein auch heute schwer gewinnen, denn Alkohol fungiert auch als Geschmacksträger. Aber neue, schonendere Verfahren sorgen dafür, dass Fruchtaromen, Säurestruktur und Tannine erkennbar bleiben und die Qualitäten deutlich gehoben wurden.
– Bio Partner Großhandel, Marktanalyse alkoholfreier Bio-Wein 2025
Genau hier schließt sich der Kreis zu unserem Thema: Die Tannine sind der Schlüssel zu einem authentischen, weinähnlichen Mundgefühl auch in der alkoholfreien Variante. Gute alkoholfreie Rotweine zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine spürbare, wenn auch meist sanftere, Tanninstruktur besitzen. Sie verleihen dem Getränk das nötige Rückgrat, die Adstringenz und die texturale Komplexität, die es von bloßem Saft unterscheidet. Einige deutsche Produzenten haben sich hier bereits einen Namen gemacht und zeigen, was möglich ist:
- Kolonne Null Rotwein Cuvée: Oft von renommierten VDP-Weingütern stammend, zeigt dieser Wein eine feine Perlage, Noten von roten Beeren und eine leichte, gut integrierte Tanninstruktur.
- Weingut Leitz „Eins Zwei Zero“ Pinot Noir: Gilt als einer der Pioniere und schafft es, die typische Charakteristik des Spätburgunders mit samtigen Tanninen und eleganter Frucht zu bewahren.
- BIBO RUNGE Deserteur Cabernet Sauvignon: Bietet für einen alkoholfreien Wein eine erstaunlich strukturierte Tanninpräsenz mit Noten von dunklen Beeren und ein überzeugendes Mundgefühl.
Gehen Sie nun mit diesem neuen Verständnis für Textur auf Entdeckungsreise. Experimentieren Sie mit verschiedenen Weinen, probieren Sie die Kombination mit Steak bewusst aus und erleben Sie, wie aus einem anfangs vielleicht unangenehm pelzigen Gefühl ein tiefgründiger und bewusster Genuss wird.