
Um deutschen Wein wirklich zu verstehen, reicht es nicht, nur „Riesling“ zu sagen – man muss die „Persönlichkeiten“ und Rivalitäten der wichtigsten Rebsorten begreifen.
- Die Burgundersorten (Weiß- und Grauburgunder) lösen zunehmend den alten Massenträger Müller-Thurgau ab, ein klares Zeichen für einen Wandel hin zur Qualität.
- Die Identität eines Weins wird heute weniger von der Rebsorte als vom „Terroir“ bestimmt – dem Ort, an dem er wächst. Ein fränkischer Silvaner ist das beste Beispiel dafür.
Empfehlung: Achte beim nächsten Weinkauf nicht nur auf den Namen der Traube, sondern frage nach ihrer Geschichte und ihrer Herkunft. Dort liegt der Schlüssel zum wahren Genuss.
Stehst du auch manchmal ratlos vor dem Weinregal und fragst dich, was der Unterschied zwischen all den deutschen Weinen ist? Riesling, klar, den Namen hat jeder schon gehört. Aber was ist mit Silvaner, Lemberger oder Grauburgunder? Die Welt des deutschen Weins kann auf den ersten Blick wie ein undurchdringlicher Dschungel wirken, eine endlose Liste von Namen und Regionen. Viele Ratgeber versuchen, mit einfachen Listen und generischen Geschmacksprofilen für Ordnung zu sorgen. Sie sagen dir, dass Riesling fruchtig und Müller-Thurgau blumig ist. Das ist zwar nicht falsch, aber es kratzt nur an der Oberfläche.
Doch was wäre, wenn der Schlüssel zum Verständnis nicht in trockenen Fakten, sondern in spannenden Geschichten liegt? Stell dir die deutsche Weinlandschaft nicht als Liste, sondern als eine Bühne voller Charaktere vor. Es gibt alte Helden, aufstrebende Stars, erbitterte Rivalen und unterschätzte Genies. Jede Rebsorte hat ihre eigene Persönlichkeit, ihre Vorlieben für bestimmte Böden und Klimazonen und ihre ganz eigene Rolle im großen Drama des deutschen Weinbaus. Dieser Wandel wird auch von wirtschaftlichen Realitäten angetrieben; der Preis für deutsche Weine steigt, was Winzer dazu ermutigt, auf Charakter statt auf Masse zu setzen.
Dieser Artikel ist dein persönlicher Guide hinter die Kulissen. Wir werden nicht nur die fünf wichtigsten Rebsorten vorstellen, die du kennen musst. Wir werden ihre Geschichten erzählen. Du wirst verstehen, warum manche Sorten im Trend liegen, während andere kämpfen müssen, warum ein Wein aus einer bestimmten Region so einzigartig schmeckt und wie Winzer heute fast vergessene Traditionen wiederentdecken, um sich für die Zukunft zu wappnen. Am Ende wirst du nicht nur Namen kennen, sondern die Seele des deutschen Weins ein Stück weit besser verstehen.
Um dir einen klaren Weg durch diese faszinierende Welt zu bahnen, haben wir diesen Artikel in übersichtliche Abschnitte gegliedert. Jeder Teil beleuchtet eine andere Facette des deutschen Weins und erzählt die Geschichte einer prägenden Rebsorte. So kannst du Schritt für Schritt die Zusammenhänge entdecken.
Sommaire: Einblicke in die Seele des deutschen Weins durch seine Hauptdarsteller
- Warum machen weiße Rebsorten immer noch 65% der deutschen Rebfläche aus?
- Weißburgunder und Grauburgunder: Warum sie den Müller-Thurgau verdrängen
- Welche Leitrebsorte dominiert in Franken und warum ist es nicht der Riesling?
- Sauvignon Blanc in der Pfalz: Kann er mit Neuseeland mithalten?
- Der „Gemischte Satz“: Warum alte Mischpflanzungen ein Comeback erleben
- Lemberger aus Württemberg: Warum diese Sorte in anderen Regionen scheitert
- Muss ein Riesling immer nach Riesling schmecken, um gut zu sein?
- Warum ist der Silvaner der unterschätzte Held zur Spargelsaison?
Warum machen weiße Rebsorten immer noch 65% der deutschen Rebfläche aus?
Wenn man an Deutschland denkt, kommen einem oft eher Bier und Autos in den Sinn als sonnenverwöhnte Weinberge. Doch Deutschland ist eine ernstzunehmende Weinnation, und zwar vor allem eine Weißweinnation. Rund zwei Drittel der Rebfläche sind mit weißen Sorten bestockt. Der Grund dafür liegt tief in der Geografie und Geschichte des Landes verwurzelt. Deutschland gehört zu den nördlichsten Weinanbaugebieten der Welt. Das kühlere Klima begünstigt Rebsorten, die eine lange Reifezeit benötigen, um ihre Aromen voll zu entwickeln und dabei eine frische, lebendige Säure zu bewahren – eine Paradedisziplin für weiße Trauben wie den Riesling.
Diese klimatischen Bedingungen sind ein wahrer Segen, denn sie ermöglichen die Produktion von Weinen mit einer einzigartigen Finesse und Eleganz, die in heißeren Klimazonen kaum zu erreichen ist. Diese Qualität ist international gefragt und ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Doch es geht nicht nur um Tradition. Deutsche Winzer haben in den letzten Jahrzehnten einen bemerkenswerten Wandel vollzogen: weg von der Massenproduktion, hin zu kompromissloser Qualität. Dieser Fokus zahlt sich aus und spiegelt sich auch im Preis wider, wie das Deutsche Weininstitut berichtet.
2023 ist der Durchschnittspreis für alle Weine gegenüber dem Vorjahr um 19 Cent bzw. fünf Prozent auf 4,08 €/l gestiegen. Für die heimischen Weine fiel der Preisanstieg mit einem Plus von 31 Cent auf 4,51 €/l noch deutlicher aus.
– Deutsches Weininstitut, Deutscher Wein Statistik 2024/2025
Dieser Preisanstieg zeigt, dass Verbraucher bereit sind, für die besondere Qualität deutscher Weine mehr zu bezahlen. Die Dominanz der Weißweine ist also kein Zufall, sondern das Ergebnis aus idealen klimatischen Bedingungen, einer langen Tradition und einer modernen Qualitätsphilosophie, die den deutschen Wein auf der Weltbühne glänzen lässt.
Weißburgunder und Grauburgunder: Warum sie den Müller-Thurgau verdrängen
In der deutschen Weinwelt tobt ein leiser, aber entscheidender Kampf der Giganten. Auf der einen Seite steht der Müller-Thurgau, einst die meistangebaute Rebsorte Deutschlands. Er ist anspruchslos, liefert hohe Erträge und war jahrzehntelang das Rückgrat der Produktion von unkomplizierten, oft lieblichen Weinen. Auf der anderen Seite stehen die aufstrebenden Stars: Weißburgunder und Grauburgunder. Diese beiden Mitglieder der Burgunderfamilie verkörpern den Wandel im deutschen Weingeschmack wie keine anderen. Sie stehen für trocken ausgebaute, substanzreiche und vielseitig einsetzbare Weine – genau das, was der moderne Weintrinker sucht.
Der Niedergang des Müller-Thurgau und der Aufstieg der Burgundersorten ist eine Geschichte über den Wandel von Quantität zu Qualität. Während Müller-Thurgau oft mit Massenweinen assoziiert wird, gelten Weiß- und Grauburgunder als kulinarische Alleskönner. Weißburgunder (Pinot Blanc) besticht durch seine feine, elegante Art mit Noten von Äpfeln und Zitrusfrüchten, während Grauburgunder (Pinot Gris) oft kräftiger und körperreicher ausfällt, mit Aromen von Birne, Nüssen und einem Hauch von Honig. Dieser qualitative Unterschied spiegelt sich auch im Markt wider. Deutsche Weine erzielen im Inland mittlerweile höhere Durchschnittspreise als importierte Weine, was den Trend zu höherwertigen Rebsorten wie den Burgundern unterstreicht.
Die folgende Tabelle verdeutlicht eindrucksvoll, wie sich die Preise für deutsche Weine im Vergleich zu ausländischen Weinen entwickelt haben – ein klares Indiz für den gestiegenen Qualitätsanspruch, der den Burgundersorten in die Karten spielt. Laut einer Analyse von NielsenIQ kosteten deutsche Weine 4,51 €/l, während ausländische Weine bei 3,76 €/l lagen.
| Weinkategorie | Preis 2022 | Preis 2023 | Veränderung |
|---|---|---|---|
| Deutsche Weine | 4,20 €/l | 4,51 €/l | +31 Cent |
| Ausländische Weine | 3,65 €/l | 3,76 €/l | +11 Cent |
| Alle Weine | 3,89 €/l | 4,08 €/l | +19 Cent |
Die Burgunder sind die Profiteure dieses Wandels. Sie sind die Antwort der Winzer auf die Nachfrage nach charaktervollen, trockenen Weißweinen und haben dem einstigen Platzhirsch Müller-Thurgau eindrucksvoll den Rang abgelaufen.
Welche Leitrebsorte dominiert in Franken und warum ist es nicht der Riesling?
Fragt man Weinliebhaber nach der wichtigsten deutschen Rebsorte, lautet die Antwort fast immer: Riesling. Doch es gibt eine Region, die stolz eine andere Fahne hochhält: Franken. Hier, im Herzen Deutschlands, entlang der Mainschleifen, regiert nicht der König Riesling, sondern ein anderer, oft unterschätzter Held: der Silvaner. Während Riesling auch in Franken angebaut wird, ist es der Silvaner, der die Identität der Region prägt und in den besten Lagen zu Hause ist. Aber warum ist das so?
Die Antwort liegt unter der Erde. Das Geheimnis des fränkischen Silvaners ist das einzigartige Terroir, insbesondere die Muschelkalkböden. Diese kargen, mineralreichen Böden zwingen die Rebe, tief zu wurzeln und verleihen dem Wein eine unverwechselbare würzige, kräuterige und oft salzig-mineralische Note, die ihn von allen anderen Weinen unterscheidet. Es ist die perfekte Symbiose: Der Silvaner, eine eher neutrale Rebsorte, wird zur Leinwand, auf der der Muschelkalkboden sein Kunstwerk malt. Auf diesen Böden entwickelt er eine Dichte und Komplexität, die der Riesling hier so nicht erreicht. Quellen bestätigen, dass der Silvaner besonders in Franken seine Heimat gefunden hat und dort als charakteristische Rebsorte gilt.

Diese enge Verbindung zwischen Rebsorte und Herkunft ist der Grund, warum Franken und Silvaner untrennbar sind. Der Wein schmeckt nicht einfach nur nach einer Traube, er schmeckt nach Franken. Gekrönt wird diese einzigartige Identität durch den Bocksbeutel, die flache, bauchige Flasche, die zum Markenzeichen der Region geworden ist. Einen Silvaner aus dem Bocksbeutel zu öffnen bedeutet, ein Stück fränkische Heimat und Weinkultur zu erleben.
Sauvignon Blanc in der Pfalz: Kann er mit Neuseeland mithalten?
Sauvignon Blanc – eine Rebsorte, die man sofort mit den explosiv-aromatischen Weinen aus Neuseeland oder den eleganten Tropfen von der Loire verbindet. Doch seit einigen Jahren mischt auch Deutschland auf der Weltbühne dieser Sorte mit, allen voran die Pfalz. Aber kann ein deutscher Sauvignon Blanc wirklich mit den internationalen Ikonen konkurrieren? Die Antwort ist ein klares Ja, aber auf seine eigene Art. Statt die neuseeländische Stilistik von Stachelbeere und Maracuja zu kopieren, finden deutsche Winzer einen eigenständigen, terroirgeprägten Ausdruck.
Die Pfalz, eine der wärmsten und sonnenreichsten Regionen Deutschlands, bietet ideale Bedingungen für den Sauvignon Blanc. Hier entwickelt er eine reife Fruchtigkeit, die oft an gelbe Früchte wie Mirabelle oder reife Grapefruit erinnert, gepaart mit den typischen grünen Noten von frisch gemähtem Gras. Der entscheidende Unterschied liegt jedoch in der Balance: Deutsche Sauvignon Blancs besitzen oft eine prägnantere Mineralität und eine etwas zurückhaltendere Exotik als ihre Pendants aus Übersee. Sie sind weniger laut, dafür aber oft vielschichtiger und gastronomisch flexibler einsetzbar.
Dieser Trend zu neuen, internationalen Rebsorten kommt nicht von ungefähr. Der Weinkonsum in Deutschland ist seit Jahren leicht rückläufig. Wie Statistiken zeigen, sank er auf 19,9 Liter pro Kopf im Jahr 2022. In einem schrumpfenden Markt müssen Winzer um die Gunst der Kunden werben – und das gelingt unter anderem mit spannenden, modernen Weinen wie dem Sauvignon Blanc. Er spricht eine jüngere, international orientierte Zielgruppe an und beweist, dass Deutschland weit mehr kann als nur Riesling. Die Pfälzer Interpretation dieser globalen Starsorte ist somit keine Kopie, sondern eine selbstbewusste Antwort auf die Frage nach der Zukunft des deutschen Weins.
Der „Gemischte Satz“: Warum alte Mischpflanzungen ein Comeback erleben
In einer Zeit, in der die Weinwelt von Rebsortenreinheit und klaren Geschmacksprofilen besessen zu sein scheint, erlebt eine uralte Tradition ein faszinierendes Comeback: der Gemischte Satz. Bei dieser Methode werden, anders als heute üblich, verschiedene Rebsorten bunt gemischt in einem einzigen Weinberg angepflanzt. Die Trauben werden gemeinsam geerntet und zusammen vergoren. Was früher aus pragmatischen Gründen zur Risikominimierung praktiziert wurde, wird heute von Avantgarde-Winzern als Weg zu mehr Komplexität und Nachhaltigkeit wiederentdeckt.
Das Prinzip hinter dem Gemischten Satz ist genial einfach: Jede Rebsorte hat unterschiedliche Stärken und Schwächen. Die eine reift früh, die andere spät. Die eine ist anfällig für Trockenheit, die andere für Frost. Im Gemischten Satz gleichen sich diese Eigenschaften aus. Fällt eine Sorte in einem schwierigen Jahr aus, sichern die anderen den Ertrag. Doch der wahre Zauber entsteht im Keller. Durch die gemeinsame Gärung (Co-Fermentation) verschmelzen die Aromen und Strukturen der verschiedenen Trauben zu einem einzigartigen, harmonischen Ganzen. Der Wein schmeckt nicht nach Riesling, Silvaner oder Traminer, sondern einfach nach dem Weinberg selbst – ein maximaler Ausdruck von Terroir.
Dieses Comeback ist auch eine kluge Antwort auf den Klimawandel. Die höhere Biodiversität im Weinberg macht das Ökosystem widerstandsfähiger. Zudem ist es eine Möglichkeit, fast vergessene, historische Rebsorten zu erhalten, die in der modernen Monokultur keinen Platz mehr fänden. Der Gemischte Satz ist somit weit mehr als nur eine nostalgische Spielerei. Er ist eine zukunftsweisende Methode, die Risikomanagement, Qualitätsstreben und ökologisches Bewusstsein auf brillante Weise vereint.
Ihr Fahrplan: Die Vorteile des Gemischten Satzes verstehen
- Risikomanagement: Verschiedene Rebsorten gleichen Wetterextreme aus – fällt eine Sorte aus, sichern die anderen den Ertrag.
- Komplexität durch Co-Fermentation: Die gemeinsame Gärung verschiedener Trauben schafft eine einzigartige Harmonie, die durch separates Verschneiden (Cuvée) nicht erreichbar ist.
- Maximaler Terroir-Ausdruck: Der Wein schmeckt nach dem Weinberg selbst, nicht nach einzelnen Rebsorten, da die Mischung die Charakteristik des Standorts in den Vordergrund stellt.
- Erhalt historischer Rebsorten: Alte, fast vergessene Sorten, die für den sortenreinen Anbau nicht mehr rentabel wären, überleben in diesen Mischpflanzungen.
- Ökologische Vorteile: Die höhere Biodiversität im Weinberg macht die Parzelle widerstandsfähiger gegen Schädlinge und fördert ein gesundes Bodenleben.
Lemberger aus Württemberg: Warum diese Sorte in anderen Regionen scheitert
Während Deutschland international vor allem für seine Weißweine bekannt ist, gibt es eine Region, die als das Herz des deutschen Rotweins schlägt: Württemberg. Und hier, zwischen Neckar und Tauber, hat eine Rebsorte ihre unangefochtene Heimat gefunden, die anderswo in Deutschland kaum eine Rolle spielt: der Lemberger. Auch bekannt als Blaufränkisch, ist der Lemberger die unbestrittene rote Königin Württembergs und bringt einige der besten Rotweine des Landes hervor.
Doch warum ist der Lemberger so stark an diese eine Region gebunden? Der Grund ist seine anspruchsvolle Natur. Lemberger ist eine Diva. Er benötigt die allerbesten, wärmsten Lagen, um voll auszureifen. Er liebt windgeschützte Steilhänge mit perfekter Sonnenausrichtung. Genau diese Bedingungen findet er im Neckartal, das wie eine Wärmeinsel funktioniert. In kühleren Lagen oder auf ungeeigneten Böden werden seine Trauben nicht reif, und der Wein schmeckt grün und unharmonisch. Diese Spezialisierung macht ihn zu einem echten Terroir-Wein. Wie Experten für deutsche Weine bestätigen, finden sich im viertgrößten Weinanbaugebiet Württemberg vor allem die roten Rebsorten Trollinger, Lemberger, Schwarzriesling und Spätburgunder.

Wenn er jedoch seine perfekte Heimat findet, ist das Ergebnis spektakulär. Lemberger aus Württemberg sind kraftvolle, komplexe Rotweine mit einer tiefdunklen Farbe und Aromen von Brombeeren, Kirschen und einem Hauch von schwarzem Pfeffer. Die besten Exemplare werden oft in Barriquefässern ausgebaut, was ihnen zusätzliche Struktur und Noten von Vanille und Röstaromen verleiht. Der Lemberger ist der beste Beweis dafür, dass deutscher Spitzen-Rotwein weit mehr ist als nur Spätburgunder und dass manche Rebsorten erst dann ihr volles Potenzial zeigen, wenn sie am exakt richtigen Ort der Welt stehen.
Muss ein Riesling immer nach Riesling schmecken, um gut zu sein?
Diese Frage mag provokant klingen, aber sie trifft den Nagel auf den Kopf, wenn es um das moderne Verständnis von Spitzenwein geht. Für Jahrzehnte wurde uns beigebracht, Wein über seine Rebsorte zu identifizieren: Ein Riesling schmeckt nach Apfel und Pfirsich, ein Sauvignon Blanc nach Stachelbeere. Doch die besten Winzer der Welt verfolgen längst eine andere Philosophie: Der wahre Charakter eines Weins kommt nicht von der Traube, sondern vom Ort, an dem er wächst – dem Terroir. Ein Riesling von den blauen Schieferböden der Mosel ist ein fundamental anderer Wein als ein Riesling vom Rotliegenden in Rheinhessen. Ersterer ist filigran, mineralisch und leicht, letzterer kraftvoll, würzig und druckvoll.
Diese Idee, dass die Herkunft über allem steht, ist keine esoterische Spinnerei, sondern das Kernprinzip des europäischen Weinrechts und der Klassifikationssysteme wie dem des VDP (Verband Deutscher Prädikatsweingüter). Ein „Großes Gewächs“ (die höchste Stufe für trockene Weine in Deutschland) schmeckt nicht primär nach Riesling, sondern nach der Lage, aus der es stammt: nach „Kirchenstück“, „Scharzhofberg“ oder „Höllberg“. Die Rebsorte ist nur der Übersetzer, das Medium, das die Sprache des Bodens für uns hörbar macht. Diese Philosophie wurde mit der jüngsten Weingesetzreform in Deutschland noch stärker zementiert.
„Das neue Weingesetz von 2021 mit seiner konsequenten Herkunftspyramide untermauert die Idee, dass ein Lagenwein über seinen Ort, nicht über seine Rebsorte definiert wird.“
– Deutscher Weinbauverband, Weingesetz-Reform 2021 Herkunftssystem
Ein guter Riesling muss also nicht immer „typisch“ nach Riesling schmecken. Ein großer Riesling *darf* es sogar nicht. Er muss nach seiner Herkunft schmecken. Ob das nun eine salzige Mineralität vom Schiefer ist, eine cremige Textur vom Lösslehm oder sogar die wilden, gerbstoffreichen Noten eines maischevergorenen „Orange Wine“ – die Vielfalt ist das, was die Sorte so unglaublich faszinierend macht. Die Rebsorte ist der Anfang der Reise, nicht das Ziel.
Das Wichtigste in Kürze
- Qualität vor Quantität: Der deutsche Weinmarkt wandelt sich. Anspruchsvolle Sorten wie Grau- und Weißburgunder verdrängen Massenträger und spiegeln den Wunsch nach charaktervollen Weinen wider.
- Herkunft ist der Star: Um einen Wein wirklich zu verstehen, schaue auf seine Herkunft (Terroir). Ein Silvaner aus Franken oder ein Lemberger aus Württemberg sind perfekte Beispiele dafür, wie der Ort den Geschmack prägt.
- Vielfalt annehmen: Deutscher Wein ist unglaublich divers. Vom klassischen Riesling über internationale Stars wie Sauvignon Blanc bis hin zu wiederentdeckten Traditionen wie dem Gemischten Satz – es gibt immer etwas Neues zu entdecken.
Warum ist der Silvaner der unterschätzte Held zur Spargelsaison?
Jedes Jahr im Frühling verfällt Deutschland in einen kollektiven Rausch: die Spargelzeit. Das edle Gemüse wird zelebriert wie kaum ein anderes Lebensmittel. Und zu jedem großen Star gehört ein perfekter Begleiter. Im Fall des weißen Spargels ist das zweifellos der Silvaner. Diese Kombination ist kein Zufall oder eine clevere Marketing-Erfindung, sondern eine über Generationen gewachsene, perfekte kulinarische Symbiose, die tief in der deutschen Esskultur verwurzelt ist. Die Bedeutung dieser Paarung wird klar, wenn man sich den Stellenwert des Spargels vor Augen führt: Mit einem Konsum von rund 1,5 kg Spargel pro Kopf und Jahr ist Deutschland Europas größter Spargelproduzent.
Aber was macht gerade den Silvaner zum idealen Partner? Es ist seine zurückhaltende, aber charaktervolle Art. Weißer Spargel hat ein sehr feines, zartes Aroma mit leicht bitteren Noten. Ein lauter, aromatischer Wein wie ein Sauvignon Blanc würde diesen Geschmack einfach überdecken. Ein Riesling mit seiner oft hohen Säure kann mit den Bitternoten des Spargels kollidieren. Der Silvaner hingegen ist der perfekte Diplomat. Er besitzt eine moderate, bekömmliche Säure und eine dezente Fruchtigkeit, die an Birne oder Kräuter erinnert. Er drängt sich nicht in den Vordergrund, sondern unterstreicht und ergänzt die feinen Aromen des Spargels.
Ein Sommelier hat diese harmonische Beziehung treffend beschrieben:
Die moderate Säure und der dezente Duft des Silvaners harmonieren perfekt mit den zarten, leicht bitteren Noten des weißen Spargels – eine klassische regionale Paarung, die seit Generationen funktioniert.
Besonders ein trockener Silvaner aus Franken, von den bereits erwähnten Muschelkalkböden, ist die Krönung. Seine Mineralität fängt die erdigen Töne des Spargels wunderbar auf. Der Silvaner mag nicht der berühmteste Wein Deutschlands sein, aber während der Spargelsaison ist er der unangefochtene, wenn auch oft unterschätzte, Held auf dem Tisch.
Nachdem du nun die Geschichten und Charaktere der wichtigsten deutschen Rebsorten kennengelernt hast, liegt der nächste Schritt auf der Hand. Gehe auf Entdeckungsreise! Probiere einen mineralischen Silvaner aus Franken, einen kräftigen Lemberger aus Württemberg oder vergleiche zwei Rieslinge aus unterschiedlichen Regionen. Nur so werden diese Geschichten für dich lebendig und du entwickelst dein eigenes Verständnis für die faszinierende Welt des deutschen Weins.
Fragen und Antworten zu Welcher ist der beliebteste deutsche Wein?
Warum schmeckt Mosel-Riesling anders als Rheingau-Riesling?
Der Schieferboden der Mosel verleiht eine mineralisch-feine Note, während die Lössböden des Rheingaus kraftvollere, fülliger Weine hervorbringen. Das Terroir prägt stärker als die Rebsorte.
Was bedeutet ‚Orange Wine‘ beim Riesling?
Durch Maischegärung entstehen Rieslinge mit Gerbstoffen und oxidativen Noten, die primär salzig und texturbetont sind statt fruchtig – ein völlig neuer Stil.
Wie unterscheiden sich die Prädikate geschmacklich?
Ein trockener Kabinett ist leicht und filigran, eine Beerenauslese intensiv süß und konzentriert, ein gereifter Riesling entwickelt Petrolnoten – alle ‚richtig‘, aber grundverschieden.