
Entgegen der landläufigen Meinung ist der Sprung von Kabinett zu Auslese nicht nur eine Frage der Süße, sondern eine komplette Metamorphose des Weins.
- Das Mostgewicht (Oechsle) bestimmt das Potenzial, aber nicht den finalen Geschmack. Es ist die physiologische Reife, die Aromen und Struktur verändert.
- Die charakteristische Riesling-Säure ist der Schlüssel, der selbst bei hoher Restsüße für Balance und Frische sorgt und ein langes Reifepotenzial ermöglicht.
Empfehlung: Betrachten Sie die Prädikatsstufen nicht als Süßeskala, sondern als Intensitätsskala, die die Konzentration von Aroma, Körper und Komplexität beschreibt.
Wer in Deutschland vor einem Weinregal steht, kennt das Gefühl der leichten Überforderung. Kabinett, Spätlese, Auslese – die Etiketten eines Rieslings lesen sich wie ein Code, den es zu knacken gilt. Viele glauben, die Lösung sei einfach: Je höher die Stufe, desto süßer der Wein. Diese Annahme ist zwar nicht gänzlich falsch, aber sie kratzt nur an der Oberfläche eines faszinierenden Prozesses. Sie reduziert eine vielschichtige Entwicklung auf eine einzige Dimension und verkennt die wahre Kunst, die hinter diesen Prädikatsweinen steckt.
Die Reise eines Rieslings von einem leichten Kabinett zu einer opulenten Auslese ist weit mehr als eine lineare Zunahme von Zucker. Es ist eine tiefgreifende aromatische Metamorphose, die in den letzten Wochen der Traubenreife am Rebstock stattfindet. Hierbei spielen die physiologische Reife der Beeren, das empfindliche Gleichgewicht von Zucker und Säure sowie das einzigartige Terroir, in dem die Reben wurzeln, eine entscheidende Rolle. Selbst mikroskopisch kleine Pilze können das Schicksal eines ganzen Jahrgangs bestimmen und Weine von Weltruf hervorbringen.
Aber wenn es nicht nur der Zucker ist, was macht dann den wahren Unterschied aus? Die Antwort liegt im komplexen Zusammenspiel von Konzentration, Säurestruktur und aromatischer Entwicklung. Statt die Prädikate als reine Süßegraduierung zu sehen, sollten wir sie als Stufen der Intensität und Komplexität verstehen. Dieser Artikel entschlüsselt, wie sich das Profil eines Rieslings auf seinem Weg durch die Prädikatsstufen wirklich verändert und gibt Ihnen das Rüstzeug, um die Qualität und den Charakter eines Weins weit über seinen Restzuckergehalt hinaus zu beurteilen.
Dieser Leitfaden führt Sie Schritt für Schritt durch die faszinierende Welt der Riesling-Prädikate. Wir beleuchten die wissenschaftlichen und weinbaulichen Hintergründe, die jeden Weintyp einzigartig machen, und geben Ihnen praktische Tipps für die perfekte Speisenbegleitung an die Hand.
Inhaltsverzeichnis: Riesling-Prädikate von Kabinett bis Auslese verstehen
- Warum schmeckt eine Spätlese intensiver als ein Qualitätswein b.A.?
- Edelfäule: Wie ein Pilz den Geschmack von Beerenauslesen veredelt
- Warum eignet sich Riesling besser für Prädikatsweine als Dornfelder?
- Der Fehler, eine Auslese zum Hauptgang zu servieren statt zum Dessert
- Wie viel Aufpreis ist der Sprung von Kabinett zu Spätlese wert?
- Wie viel müssen Sie für einen weltklasse Riesling wirklich ausgeben?
- Spätlese Trocken: Warum dieser Begriff verwirrend ist und was er wirklich schmeckt
- Trocken oder feinherb: Welchen Riesling sollten Sie zum asiatischen Curry wählen?
Warum schmeckt eine Spätlese intensiver als ein Qualitätswein b.A.?
Die gesteigerte Intensität einer Spätlese im Vergleich zu einem Qualitätswein bestimmter Anbaugebiete (Q.b.A.) ist direkt auf den späteren Erntezeitpunkt und die damit einhergehende höhere Traubenreife zurückzuführen. Dies lässt sich am Mostgewicht messen, das in Grad Oechsle (°Oe) angegeben wird und den Zuckergehalt des Traubenmostes beschreibt. Während für einen Q.b.A. je nach Anbaugebiet 55 bis 72 °Oe ausreichen, verlangt das deutsche Weingesetz für eine Spätlese deutlich höhere Werte. Eine Studie zeigt, dass Mindest-Mostgewichte von 76 bis 90 °Oe für Spätlesen je nach Region vorgeschrieben sind. Dieser höhere Zuckergehalt ist die Grundlage für mehr als nur Süße.
Die längere Reifezeit am Rebstock, oft mehrere Wochen, führt nicht nur zu mehr Zucker, sondern auch zu einer physiologischen Reife. Die Aromavorstufen in der Traubenhaut entwickeln sich weiter, die Tannine in den Kernen reifen aus und die Säure wandelt sich von harter Apfelsäure zu weicherer Weinsäure. Zudem verlieren die Trauben durch Verdunstung Wasser, was zu einem natürlichen Konzentrationseffekt führt: Zucker, Säure und Aromen werden intensiver. Eine Spätlese hat also nicht einfach nur mehr Zucker, sondern ein dichteres, komplexeres und aromatischeres Grundprofil als ein Q.b.A. aus früher gelesenen Trauben.
Ein gutes Beispiel dafür liefert der Jahrgang 2024 an der Mosel. Laut dem Weingut Berres war dieser Jahrgang, obwohl die Erntemenge kleiner ausfiel, durch klassische Kabinett- und Spätlese-Rieslinge geprägt. Die Weine zeigten trotz moderaten Alkoholgehalts eine enorme aromatische Präsenz – ein direktes Ergebnis der vollen Ausreifung der Trauben unter idealen Bedingungen. Die Konzentration, die durch die geringere Erntemenge entstand, verstärkte diesen Effekt zusätzlich und führte zu Weinen mit ausgeprägter Mineralität und Langlebigkeit.
Letztendlich ist die Spätlese also das Resultat eines bewussten Wartens des Winzers, der den Trauben die Zeit gibt, ihr volles aromatisches Potenzial zu entfalten, was sich in einer spürbar höheren Geschmacksintensität im Glas niederschlägt.
Edelfäule: Wie ein Pilz den Geschmack von Beerenauslesen veredelt
Ab der Stufe der Auslese, und insbesondere bei Beerenauslesen (BA) und Trockenbeerenauslesen (TBA), betritt ein entscheidender Akteur die Bühne: der Pilz Botrytis cinerea. Unter spezifischen klimatischen Bedingungen – neblig-feuchte Morgen gefolgt von trockenen, sonnigen Nachmittagen – befällt dieser Pilz die reifen Trauben nicht als zerstörerische Graufäule, sondern als erwünschte Edelfäule. Dieser Prozess ist eine wahre Veredelung, die den Wein auf ein neues Level der Komplexität hebt.
Der Pilz perforiert die Beerenhaut, wodurch das Wasser in der Traube verdunsten kann. Dieser extreme Konzentrationseffekt lässt den Zuckergehalt auf über 125 °Oe (für eine BA) ansteigen. Doch Botrytis tut mehr als nur Wasser zu entziehen. Wie Helmut Hans Dittrich und Manfred Großmann in ihrer Forschung beschreiben, findet eine tiefgreifende biochemische Transformation statt. In ihrem Standardwerk „Mikrobiologie des Weines“ erklären sie, wie der Pilz agiert:
Der Pilz verstoffwechselt Zucker, Säuren und Stickstoff. Relativ verbraucht er aber weit mehr Säure als Zucker und gibt dabei Stoffwechselprodukte wie Glycerin an die Beere ab. Das führt zum typischen honigartigen Edelfäulebukett bzw. Botrytiston.
– Helmut Hans Dittrich, Manfred Großmann, Mikrobiologie des Weines
Diese Verwandlung führt zu den charakteristischen Aromen von Honig, getrockneten Aprikosen, Safran und kandierten Früchten, die diese Süßweine so einzigartig machen. Das zusätzlich produzierte Glycerin verleiht dem Wein eine ölige, viskose Textur und einen noch volleren Körper. Der Unterschied zur schädlichen Graufäule, die bei anhaltender Nässe entsteht und die Ernte vernichtet, ist fundamental.

Die folgende Tabelle fasst die entscheidenden Unterschiede zwischen der erwünschten Edelfäule und der gefürchteten Graufäule zusammen, basierend auf einer Analyse von Vinocomwines.
| Kriterium | Edelfäule | Graufäule |
|---|---|---|
| Reifegrad bei Befall | Über 80° Oechsle | Unreife Beeren |
| Wetterbedingungen | Feuchte Morgen, trockene Nachmittage | Anhaltend feucht |
| Auswirkung | Konzentration von Zucker und Aromen | Fäulnis und Ernteausfall |
| Typische Aromen | Honig, Safran, getrocknete Aprikose | Essig, faulige Noten |
Die Entstehung von Edelfäule ist ein risikoreiches Spiel mit der Natur, das nicht in jedem Jahrgang gelingt. Wenn es jedoch glückt, entstehen daraus einige der langlebigsten und komplexesten Weine der Welt.
Warum eignet sich Riesling besser für Prädikatsweine als Dornfelder?
Nicht jede Rebsorte ist für die Produktion hochwertiger Prädikatsweine, insbesondere solcher mit Restsüße, gleichermaßen geeignet. Riesling ist der unangefochtene König in dieser Disziplin, während eine Rotweinrebsorte wie Dornfelder hier an ihre natürlichen Grenzen stößt. Der Grund dafür liegt in der einzigartigen Grundstruktur des Rieslings. Mit 24.233 Hektar Anbaufläche in Deutschland, was etwa 45 % der weltweiten Riesling-Rebfläche entspricht, ist die Rebsorte hierzulande tief verwurzelt und perfekt an die kühleren Klimazonen angepasst.
Drei Kerneigenschaften machen den Riesling prädestiniert für die gesamte Bandbreite von trocken bis edelsüß:
- Hohe, stabile Säure: Riesling besitzt von Natur aus ein markantes Säure-Rückgrat. Diese Säure ist nicht nur für die Frische und Lebendigkeit des Weins verantwortlich, sondern agiert auch als perfekter Gegenspieler zur Süße. Während bei einem Dornfelder die Süße schnell plump und klebrig wirken würde, weil ihm diese Säurestruktur fehlt, sorgt die Riesling-Säure für einen eleganten Balance-Akt. Sie schneidet durch die Süße, reinigt den Gaumen und lässt den Wein niemals schwerfällig erscheinen.
- Aromatische Transparenz: Riesling besitzt ein eher subtiles Eigenaroma, das stark von Primärfrucht (Apfel, Pfirsich, Zitrus) geprägt ist. Diese „Zurückhaltung“ macht ihn zu einem perfekten Spiegel seines Terroirs. Mineralische Noten von Schieferböden (Mosel) oder die Kraft von Löss- und Lehmböden (Pfalz) können ungehindert durchscheinen.
- Langes Reifefenster: Riesling reift langsam und kann lange am Rebstock hängen bleiben, ohne seine Säure zu verlieren. Dies ermöglicht es den Winzern, den perfekten Erntezeitpunkt für jede Prädikatsstufe abzuwarten – von den vollreifen, aber noch knackigen Trauben für einen Kabinett bis zu den rosinenartig eingetrockneten, botrytisierten Beeren für eine Trockenbeerenauslese.
Im Gegensatz dazu ist Dornfelder eine Rebsorte, die auf Farbe, Frucht und einen weichen Charakter gezüchtet wurde. Ihr fehlt die Säurestruktur, um höhere Zuckergrade elegant zu balancieren, und ihre dominanten dunklen Fruchtaromen würden mit den feinen Noten der Edelfäule konkurrieren statt harmonieren.
Checkliste: Das Potenzial eines Rieslings bewerten
- Rebsortencharakteristika: Identifizieren Sie die typischen Aromen des Weins. Erkennen Sie klare Noten von Kernobst (Apfel, Quitte), Steinobst (Pfirsich, Aprikose) oder Zitrusfrüchten?
- Säurestruktur bewerten: Analysieren Sie die Säure. Ist sie präsent und belebend? Fühlt sie sich gut integriert an oder wirkt sie spitz und unharmonisch?
- Balance prüfen: Bewerten Sie das Zusammenspiel von Süße, Säure und Alkohol. Ergänzen sich die Komponenten oder dominiert eine davon unangenehm?
- Komplexität & Terroir-Ausdruck: Suchen Sie nach Tiefe. Zeigt der Wein mehr als nur Frucht? Sind mineralische Anklänge (z.B. nasser Stein, Schiefer) oder würzige Noten erkennbar?
- Reifepotenzial einschätzen: Beurteilen Sie die Struktur. Hat der Wein genug Säure und Konzentration, um sich über Jahre positiv in der Flasche zu entwickeln?
Diese Kombination aus hohem Säuregehalt, aromatischer Finesse und langsamer Reifung macht den Riesling zu einem Chamäleon, das in jeder Form – von knochentrocken bis nektarsüß – brillieren kann.
Der Fehler, eine Auslese zum Hauptgang zu servieren statt zum Dessert
Eine der häufigsten Fehlpaarungen in der Weinwelt ist die Kombination eines süßen Prädikatsweins wie einer lieblichen Auslese mit einem herzhaften Hauptgericht. Die intensive Süße und die konzentrierten Aromen des Weins überlagern die feineren Nuancen der meisten Fleisch- oder Gemüsegerichte und erzeugen eine Disharmonie am Gaumen. Der Wein wirkt dominant und schwer, das Essen verliert an Profil. Eine Riesling Auslese entfaltet ihr wahres Potenzial dort, wo ihre Eigenschaften auf ebenbürtige Partner treffen: beim Dessert oder bei sehr spezifischen, intensiven Käsesorten.
Die goldene Regel lautet: Der Wein sollte immer mindestens so süß sein wie das Dessert, das er begleitet. Eine klassische Riesling Auslese mit ihren Noten von Honig, exotischen Früchten und kandierten Zitrusfrüchten ist ein traumhafter Partner für Desserts, die auf Frucht und Creme basieren. Sie harmoniert wunderbar mit den Aromen von Äpfeln, Pfirsichen, Karamell und sahnigen Komponenten. Ein traditioneller deutscher Apfelkuchen, eine Crème brûlée oder ein Pfirsich-Cobbler werden durch eine Auslese nicht nur begleitet, sondern auf ein neues Genusslevel gehoben. Die Säure des Weins sorgt dabei dafür, dass die Kombination nicht zu üppig wird, sondern frisch und animierend bleibt.

Gibt es Ausnahmen von dieser Regel? Ja, aber sie sind selten und erfordern sorgfältige Überlegung. Eine kräftige, reife Auslese kann ein faszinierender Kontrast zu sehr fettreichen und salzigen Speisen sein. Das Fett und das Salz bilden eine Brücke zur Süße des Weins und schaffen eine spannende Balance. Die klassischste Kombination dieser Art ist Gänseleber oder Foie Gras, deren cremige Textur und reicher Geschmack von der Süße und Säure des Rieslings perfekt umspielt werden. Eine weitere Möglichkeit ist ein sehr intensiver Blauschimmelkäse wie Roquefort oder Gorgonzola, dessen pikante Salzigkeit durch die opulente Frucht der Auslese gezähmt wird.
Abgesehen von diesen spezifischen Ausnahmen gilt jedoch: Heben Sie sich Ihre edelsüße Auslese für den krönenden Abschluss eines Menüs auf. Dort kann sie glänzen, ohne die Hauptdarsteller des Abends zu überschatten.
Wie viel Aufpreis ist der Sprung von Kabinett zu Spätlese wert?
Der Preisunterschied zwischen einem Riesling Kabinett und einer Spätlese vom selben Winzer kann beträchtlich sein. Ist dieser Aufpreis gerechtfertigt? Aus Sicht des Weinbaus und der Kellerwirtschaft lautet die Antwort eindeutig: Ja. Der höhere Preis spiegelt nicht nur den potenziell höheren Alkohol- oder Zuckergehalt wider, sondern vor allem das gestiegene Risiko, den Mehraufwand bei der Lese und die komplexeren kellertechnischen Entscheidungen, die der Winzer treffen muss.
Der erste Kostenfaktor ist das Risiko im Weinberg. Die Trauben für eine Spätlese hängen Wochen länger am Stock als die für einen Kabinett. In dieser Zeit sind sie Witterungseinflüssen wie Regen, Hagel oder Frost ausgesetzt, die die Ernte schmälern oder im schlimmsten Fall komplett vernichten können. Zudem erfordert die Lese von Spätlese-Trauben oft eine selektive Handlese, bei der nur die perfekt reifen Trauben ausgewählt werden – ein zeit- und personalintensiver Prozess.
Der zweite Faktor ist der anspruchsvollere Prozess im Weinkeller. Einen Wein mit höherem Mostgewicht zu einem balancierten, restsüßen Prädikatswein zu vergären, ist ein Balance-Akt. Anstatt die Gärung komplett durchlaufen zu lassen und später unvergorenen Traubenmost (Süßreserve) hinzuzufügen, entscheiden sich Spitzenwinzer für eine anspruchsvollere Methode. Wie ein Winzer auf Weinbaer.de erklärt, wird bei qualitativ hochwertigen Weinen oft auf die Süßreserve-Technik verzichtet. Stattdessen wird die Gärung aktiv gestoppt, beispielsweise durch Kühlung und Filtration, sobald die gewünschte Balance zwischen Restzucker, Alkohol und Säure erreicht ist. Dieser Prozess erfordert präzises Timing und ständige Kontrolle, um ein perfektes Gleichgewicht zu erzielen. Ein Kabinett ist in dieser Hinsicht oft einfacher und fehlerverzeihender in der Herstellung.
Der Aufpreis für eine Spätlese honoriert also nicht nur die höhere Konzentration und Komplexität im fertigen Wein, sondern auch das Wagnis und das handwerkliche Geschick des Winzers, der diese Qualität erst ermöglicht hat.
Wie viel müssen Sie für einen weltklasse Riesling wirklich ausgeben?
Die Frage nach den Kosten für einen Weltklasse-Riesling führt unweigerlich in die Spitze der deutschen Qualitätspyramide. Während man bereits für 10 bis 20 Euro exzellente Prädikatsweine finden kann, bewegen sich die international gefeierten, ikonischen Rieslinge in einer anderen Preisliga. Hier sprechen wir oft von Weinen, die als „Großes Gewächs“ (GG) klassifiziert sind oder aus legendären, historisch bedeutsamen Weinlagen stammen.
Das „Große Gewächs“ ist eine Klassifikation des Verbands Deutscher Prädikatsweingüter (VDP) für die besten trockenen Weine aus den besten Lagen. Wie Alexandra Franzen von der Handelshof Weinabteilung betont, steht das Qualitätszeichen „Großes Gewächs“ (GG) für erstklassige Weißweine aus besonderen Lagen. Diese Weine stammen aus parzellengenau abgegrenzten Terroirs, unterliegen strengen Ertragsbeschränkungen und müssen per Handlese geerntet werden. Die Preise für GGs beginnen oft bei 30 Euro und können für Weine aus berühmten Lagen wie dem Scharzhofberg an der Saar oder dem Kirchenstück in der Pfalz schnell 100 Euro und mehr erreichen.
Ein prägnantes Beispiel für eine solche Premium-Region ist der Rheingau. Hier nimmt der Riesling fast 78 % der gesamten Rebfläche ein, und die Winzer blicken auf eine lange Tradition zurück. Laut dem Deutschen Weininstitut stammen die ältesten historischen Dokumente, die den Rieslinganbau belegen, aus dem Jahr 1435 und finden sich im Rheingau und an der Mosel. Diese jahrhundertealte Erfahrung in der Kultivierung der besten Lagen, kombiniert mit dem Prestige der Region, schlägt sich im Preis nieder. Ein Großes Gewächs aus einer Top-Lage im Rheingau ist nicht nur ein Wein, sondern ein Stück Weingeschichte und Terroir-Ausdruck, dessen Preis die extreme Nachfrage und das geringe Angebot widerspiegelt.
Man muss also nicht zwingend ein Vermögen ausgeben, um großartigen Riesling zu trinken. Aber für einen Wein, der zur absoluten Weltspitze zählt, sind Preise von 50 Euro und aufwärts die Realität – ein Preis für Handwerkskunst, seltene Herkunft und ein unvergessliches Geschmackserlebnis.
Spätlese Trocken: Warum dieser Begriff verwirrend ist und was er wirklich schmeckt
Der Begriff „Spätlese Trocken“ ist einer der verwirrendsten auf deutschen Weinetiketten und führt regelmäßig zu Missverständnissen. Die Verwirrung entsteht, weil „Spätlese“ ein Prädikat ist, das den Reifezustand der Trauben bei der Lese beschreibt, während „Trocken“ eine Geschmacksangabe ist, die den Restzuckergehalt im fertigen Wein definiert. Die beiden Begriffe schließen sich also nicht aus, sondern beschreiben unterschiedliche Aspekte des Weins.
Eine „Spätlese“ bedeutet, dass die Trauben mit einem hohen Mostgewicht (z.B. 76-90 °Oe) geerntet wurden, was ihnen ein hohes Potenzial für Aromen, Körper und auch Alkohol verleiht. Wenn der Winzer diesen zuckerreichen Most nun vollständig durchgären lässt, bis fast der gesamte Zucker in Alkohol umgewandelt ist (gesetzlich maximal 9 g/L Restzucker), entsteht eine „Spätlese Trocken“. Lässt er die Gärung hingegen früher stehen, verbleibt mehr Restzucker im Wein, und das Ergebnis ist eine klassisch fruchtig-süße oder liebliche Spätlese.
Der entscheidende Unterschied liegt im Geschmacksprofil und Alkoholgehalt, wie die folgende Tabelle, basierend auf Daten von Le Club des Vins, verdeutlicht:
| Eigenschaft | Spätlese Trocken | Spätlese (klassisch) |
|---|---|---|
| Mostgewicht bei Ernte | 76-90° Oechsle | 76-90° Oechsle |
| Restzucker | Max. 9g/L | 18-45g/L |
| Alkoholgehalt | 11-13% vol. | 7-10% vol. |
| Geschmacksprofil | Vollmundig, trocken | Fruchtig-süß |
Eine Spätlese Trocken ist also ein kräftiger, körperreicher und trockener Wein. Die hohe Reife der Trauben sorgt für intensive Aromen von reifem Steinobst (Pfirsich, Aprikose) und eine dichte Struktur, die von einem höheren Alkoholgehalt getragen wird. Sie ist ein idealer Speisenbegleiter zu kräftigen Gerichten. Eine klassische Spätlese hingegen ist leichter im Alkohol, spürbar restsüß und besticht durch ein verspieltes Süße-Säure-Spiel und intensive Primärfruchtaromen. Sie eignet sich hervorragend als Solist oder zu würzigen Speisen.
Denken Sie also daran: „Spätlese“ ist das, was der Weinberg hergibt, während „Trocken“ das ist, was der Winzer im Keller daraus macht.
Das Wichtigste in Kürze
- Die Prädikatsstufe (z.B. Spätlese) definiert die Reife bei der Ernte, nicht zwangsläufig die Süße im fertigen Wein. Es ist ein Maß für das Potenzial und die Intensität.
- Das einzigartige Säure-Rückgrat des Rieslings ist der Schlüssel zur Balance. Es ermöglicht die Harmonie von hoher Restsüße und Frische und sorgt für eine enorme Langlebigkeit.
- Die Edelfäule (Botrytis) ist mehr als ein Konzentrator; sie ist ein Alchemist, der durch biochemische Prozesse völlig neue Aromen von Honig und Trockenfrüchten im Wein erschafft.
Trocken oder feinherb: Welchen Riesling sollten Sie zum asiatischen Curry wählen?
Die Kombination von Wein und scharfem Essen, insbesondere mit der komplexen Gewürzwelt asiatischer Currys, ist eine hohe Kunst. Ein trockener, alkoholstarker Wein ist hier oft die falsche Wahl, da der Alkohol die Schärfe am Gaumen unangenehm verstärkt. Die Lösung liegt in Rieslingen mit einer gewissen Restsüße – also feinherben oder lieblichen Kabinett- und Spätleseweinen. Die Süße im Wein wirkt wie ein Puffer, der die Schärfe des Chilis mildert und eine harmonische Brücke zu den oft ebenfalls süßlichen Komponenten im Gericht (wie Kokosmilch oder Palmzucker) schlägt.
Das entscheidende Element ist wieder einmal die brillante Riesling-Säure. Sie verhindert, dass die Kombination aus süßem Wein und würzigem Essen zu schwer oder klebrig wird. Stattdessen schneidet sie durch die Reichhaltigkeit des Currys, erfrischt den Gaumen und macht Lust auf den nächsten Bissen. Zudem spielt der Alkoholgehalt eine wichtige Rolle. Wie eine Analyse von Watson’s Wine hervorhebt, sorgt der oft niedrigere Alkoholgehalt von 8-9% bei lieblichen Stilen im Vergleich zu 12% oder mehr bei trockenen Weinen für eine zusätzliche Milderung der Schärfe.
Die Wahl der exakten Süßestufe sollte sich an der Intensität und Schärfe des Currys orientieren. Ein leichter, feinherber Kabinett von der Mosel mit seiner schieferwürzigen Mineralität ist perfekt für ein delikates grünes Thai-Curry, während ein cremiges indisches Korma nach der Kraft und dem Schmelz einer fruchtigen Spätlese aus der Pfalz oder dem Rheingau verlangt. Bei extrem scharfen Gerichten, wie sie in der Szechuan-Küche zu finden sind, darf es sogar eine liebliche Auslese sein, deren opulente Süße die feurige Schärfe elegant zähmt.
Ihr Aktionsplan: Den perfekten Riesling zum Curry finden
- Schärfegrad einschätzen: Je schärfer das Curry, desto mehr Restsüße sollte der Wein haben. Beginnen Sie bei milder Würze mit „feinherb“ und steigern Sie sich zu „lieblich“ oder „Auslese“ bei hoher Schärfe.
- Curry-Stil analysieren: Zu leichten, kräuterigen Currys (z.B. Thai Grün) passt ein leichter Kabinett. Zu reichhaltigen, cremigen Currys (z.B. indisches Korma) passt eine kräftigere Spätlese.
- Auf den Alkohol achten: Wählen Sie Weine mit moderatem Alkoholgehalt (idealerweise unter 11 %). Die Information finden Sie immer auf dem Etikett.
- Herkunft berücksichtigen: Ein Mosel-Riesling bringt oft mehr Mineralität und Leichtigkeit mit, während ein Riesling aus der Pfalz oder dem Rheingau mehr Körper und Kraft haben kann.
- Experimentieren: Kaufen Sie eine feinherbe und eine liebliche Spätlese und probieren Sie beide zum gleichen Gericht. So schulen Sie Ihren Gaumen am besten für die perfekte Harmonie.
Vergessen Sie also die alten Regeln, die besagen, dass nur trockener Wein ein guter Speisenbegleiter sei. Öffnen Sie sich für die faszinierende Welt der restsüßen Rieslinge und entdecken Sie, wie sie die Aromen der asiatischen Küche zum Leuchten bringen können.